Süddeutsche Zeitung

Grüne:Fluch des Erfolgs

Den Grünen geht es besser denn je, sie sind im Umfragehimmel. Zugleich befällt die Partei ein Unbehagen. Richtungs- und Führungsstreit droht, und sie merkt, dass es nicht reicht, allen zu gefallen.

Von Constanze von Bullion

Beschaulich war das Stelldichein, ganz ohne Krach und Reibereien. Vor zwei Wochen trafen die Bundestagsgrünen sich in Weimar zur Fraktionsklausur. Man stimmte allerlei Papiere ab, stellte 72 Forderungen zur Klimarettung auf und überlegte abends bei Wein und Himbeermousse, was die Grünen in der nächsten Bundesregierung so alles anstellen könnten. Das Blöde nur: Die Ruhe war trügerisch, nur dass das in Weimar eben kaum jemand bemerkte. Der Fraktion steht nun ein harter Richtungsentscheid bevor, und auch die Partei muss sich warm anziehen. Denn sie ist drauf und dran, vor lauter Zuspruch die Abzweigung in die Zukunft zu verpassen.

Am Dienstag werden die Bundestagsgrünen sich eine neue Fraktionsspitze wählen. Das war eigentlich als Routineübung gedacht, die langgedienten Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter sollten im Amt bestätigt werden. Vor zwei Jahren wurde die beiden zwar bereits mit eher schwachem Ergebnis wiedergewählt. Aber es sehnt sich bei den Grünen derzeit kaum jemand nach Umsturz. Kein Wunder.

Seit Annalena Baerbock und Robert Habeck an der Grünenspitze stehen, geht es der Partei so gut wie nie zuvor. Nach Jahrzehnten als Kampf- und Zoffpartei sind die alten Flügelkämpfe eingeschlafen. Die Rollenverteilung zwischen Parteispitze und Fraktion funktioniert wie ein geöltes Räderwerk. Der Wähler dankt es mit Umfragewerten, die bei gut 20 Prozent liegen, jedenfalls noch. In vielen Großstädten, und zwar in West wie Ost, stellen Grünenwähler inzwischen nicht nur die Mehrheit, sondern auch ein selbstbewusstes, gut gebildetes Wahlbürgertum, zu dem von Kirchenleuten über Zahnärztinnen bis zu jungen Antifa-Rebellen so ziemlich alle gehören dürfen. Auf der Straße postulieren Schüler Klimaziele, die grüner kaum sein könnten. Und selbst die CSU behauptet jetzt, im Herzen immer schon irgendwie öko gewesen zu sein.

Grüner wird's nicht in Deutschland. Fast 40 Jahre nach ihrer Gründung ist die einstige Krawallpartei im Zustimmungshimmel angekommen - und wirkt im Innern so verunsichert wie lange nicht. Das grüne Spitzenpersonal schleicht in diesen Tagen wie auf Zehenspitzen herum. Die Umfragen befinden sich in leisem Sinkflug, die Landtagswahl in Thüringen könnte enttäuschend ausfallen. Und dann ist da die Sache mit Cem Özdemir. Der ehemalige Parteichef will nach einer zweijährigen Kunstpause überraschend an die Spitze der grünen Bundestagsfraktion, mit der Fraktionsnovizin Kirsten Kappert-Gonther. Die beiden sind jetzt auf Werbetour, und je länger sie dauert, desto nervöser werden ihre Parteifreunde. Nicht wenige Grüne wollen Özdemir verhindern. Der Schwabe ist einer der besten Redner seiner Fraktion, hat türkische Eltern, was die Grünen schmückt. Aber er hat sich den Ruf eines Systemsprengers erworben, gilt als persönlich schwierig, mimosenhaft, zur Teamarbeit nicht begabt.

Wer schon mal Ärger mit Özdemir hatte, kann solche Bedenken nachvollziehen. Der Zank, den der 53-Jährige gern mal vom Zaun bricht, ist nichts für harmoniebedürftige Gemüter. Özdemir würde sich wohl auch nicht fügen ins neue Erfolgsorchester. Dort spielen die Parteivorsitzenden die erste Geige, während die Fraktionsspitze sich mit der Triangel begnügt. Dafür taugt Özdemir nicht. Er ist in Wort und Gestus das Gegenstück zum barocken Klimafürsten Anton Hofreiter, aber auch zum Herzenslinken Robert Habeck. Obsiegt Özdemir in der Fraktion, ist Schluss mit Bussibussi. Scheitert er, dann an der eigenen Persönlichkeit.

Die Grünen aber müssen sich die Frage stellen, warum eine Personalie wie diese eigentlich so vieles ins Rutschen bringt. Es hängt jetzt nicht nur der grüne Haussegen schief. Es wird in diesen Tagen auch offenbar, wie schnell die Stimmung kippen kann bei den Grünen. Von einer Partei, die über Monate rundum beklatscht wurde, die von der politischen Konkurrenz beneidet und kopiert wird, sind es nur ein paar Schritte hin zu internen Raufereien und Richtungsstreit.

Genau darauf aber ist die Partei nicht vorbereitet. Denn im Rausch des allgemeinen Grünenhypes - und auch dank Habeck'scher Wohlfühlrhetorik - sind viele harte Debatten auf die lange Bank geschoben worden. Wie sollen eigentlich die 72 Klimaziele finanziert werden, die bei der Klausur in Weimar präsentiert wurden? Von einem Bundesinvestitionsfonds ist da die Rede, auch von allerlei Öko-und Wildnisfonds. Für jede Idee, die die Grünen präsentieren, soll ein Staatstopf Millionen ausspucken. Für eine Partei, die Eigeninitiative immer hochgehalten hat, klingt das überraschend etatistisch. Auch beim Thema Migration drückt man sich um unbequeme Konzepte und es fehlen Ideen zur digitalisierten Arbeitswelt.

Jedermann zu gefallen, von ganz links bis weit hinein in die bürgerliche Mitte, das bringt Applaus, aber es macht auf Dauer nicht stark. Den Grünen steht das größte Stück Arbeit noch bevor.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2019
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