Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Europa und Bremen:Grüne in Champagnerlaune

  • Erfolgreicher Wahlsonntag für die Grünen: Zweitstärkste Kraft in Deutschland bei der Europawahl und Weiterregieren in Bremen.
  • Selten hat es so viel Rückhalt für grüne Anliegen gegeben wie jüngst.
  • In Bremen gilt ein rot-rot-grünes Bündnis wahrscheinlicher als eine Jamaika-Koalition.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Zweitstärkste Kraft in Deutschland bei der Europawahl und Weiterregieren in Bremen - bei der Wahlparty der Grünen in Berlin nahmen Gejohle und Applaus gar kein Ende mehr, nachdem am Sonntagabend die erste Prognose bekannt geworden war. Nach ersten Zahlen kamen die Grünen bei der Europawahl auf 20,9 Prozent der Stimmen und lagen damit deutlich vor der SPD. Bei der Bürgerschaftswahl in Bremen zeichnete sich ein Ergebnis von 18 Prozent ab - und ein Platz in der nächsten Landesregierung. Bei der Wahlparty in Berlin stimmten ein paar Grünenfans Beethovens "Ode an die Freude" an, die Parteioberen zeigten sich in Champagnerlaune. "Die Menschen in ganz Europa wollen Europa. Und sie wollen ein friedliches Europa", sagte die Parteivorsitzende Annalena Baerbock. Die Wahl sei eine "Klimawahl", die hohe Wahlbeteiligung aber auch ein Votum für Demokratie und gegen Rechtspopulismus. "Das sind Stimmen für die Menschenrechte in ganz Europa."

Das beste Wahlergebnis aller Zeiten, mit diesem Ziel waren die Grünen in die Europawahl gestartet. Denn eines schien schon lange vor der Schließung der Wahllokale klar: Die Ergebnisse der letzten Europawahlen würden die Grünen allemal erreichen. 2014 war die Partei in Deutschland auf 10,7 Prozent gekommen, fünf Jahre zuvor auf 12,1 Prozent. Für die Europawahl in diesem Jahr hatten die Wahlforscher den Grünen ein Ergebnis von 19 Prozent vorhergesagt. Es sollte mehr werden.

"Es freut sich Grün, nicht Gauland", sagt Spitzenkandidat Giegold

Klimaproteste von Schülern, Aufregung um den Youtuber Rezo, dazu die Übernahme grüner Umweltanliegen durch die politische Konkurrenz - selten gab es so viel Zuspruch zu grünen Kernforderungen.

Das Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck kommt beim Publikum weiterhin ziemlich gut an. Und die Grünen haben sich als Gegenmacht zu rechten Nationalisten und Europaskeptikern profiliert. Das sprach gerade junge Wähler an. In der Altersgruppe zwischen 18 und 29 Jahren holte die Partei laut Forschungsgruppe Wahlen 33 Prozent.

Und doch - wer sich kurz vor der Europawahl mit grünen Wahlkämpfern unterhielt, konnte auch vorsichtige Töne hören. Bloß keine Selbstüberschätzung, warnten Parteiobere. Den Europawahlkampf empfanden manche als zäh. Trotz hoch motivierter Neumitglieder wollte der Funke oft nicht recht überspringen. Themen wie Klimarettung, Artenvielfalt oder Agrarpolitik seien auf viel Resonanz gestoßen, sagte Grünen-Spitzenkandidat Sven Giegold vor der Wahl.

Für europäische Mindestlöhne oder Steuern hingegen hätten sich die Leute weniger interessiert. Man wisse im Übrigen auch nicht so genau, ob Wähler jenseits grüner Stammbiotope, die mit der Partei liebäugeln, bei der Europawahl wirklich grün wählen würden. Am Sonntag war von den Befürchtungen nichts mehr zu hören.

"Es freut sich Grün, nicht Gauland", sagte Spitzenkandidat Giegold. Parteichef Robert Habeck ließ den hohen Erwartungsdruck erkennen, der jetzt auf den Grünen lastet, auch auf ihm selbst. "Tolle Zahlen", sagte er dem Fernsehsender Phoenix. Das Ergebnis mache aber auch demütig: "Alter Schwede, was kommen da für Aufgaben auf uns zu?" Wie sich das gewachsene Gewicht der Grünen real auswirken wird, ließen die Parteioberen offen. Im Rennen um den Posten des EU-Kommissionspräsidenten spielen die Grünen mutmaßlich nur eine Nebenrolle. Und in Bremen, wo sie zuletzt mit der SPD regiert haben, zeigen sie sich für eine Jamaika-Koalition offen, schon aus strategischen Gründen. Ein rot-rot-grünes Bündnis allerdings gilt in Bremen als deutlich wahrscheinlicher. Als Signal für Rot-Rot-Grün im Bund wollten Spitzengrüne die Wahl in Bremen nicht werten. Bis zur nächsten Bundestagswahl sei der Weg bekanntlich weit.

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SZ vom 27.05.2019/lala
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