Enteignungen und Grüne:Aufbruch ohne Besserwisserei

Enteignungen und Grüne: Sind Enteignung von Grundstücksspekulanten denkbar? Grünen-Chef Habeck findet: ja.

Sind Enteignung von Grundstücksspekulanten denkbar? Grünen-Chef Habeck findet: ja.

(Foto: Hernan Lucio/Unsplash; Bearbeitung SZ)

Grünen-Chef Robert Habeck bringt Enteignungen ins Spiel. Es ist gut, dass die Grünen Zukunftsthemen wie die Wohnungspolitik anpacken. Sie sollten dabei nicht in den alten Ton der Rechthaberei verfallen.

Kommentar von Constanze von Bullion, Berlin

Gegen die Grünen scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Seit Monaten kämpft sich die politische Konkurrenz an der Partei der Baerbocks und Habecks ab. Trotzdem ist sie so beliebt wie nie. Und jetzt? Haut Parteichef Robert Habeck ein Interview raus, in dem er die Enteignung von Grundstücksspekulanten für denkbar erklärt, notfalls. Fraktionschef Anton Hofreiter legt nach, er will von 2030 an keine neuen Verbrennungsmotoren mehr. Die Leute sollen weniger fliegen, weniger Fleisch essen, den Plastikstrohhalm zurückweisen. "Verbotspartei!", schallt es den Grünen jetzt aus allen Kanälen entgegen. Der Begriff ist ein Trauma für die Partei. Zeit, es zu überwinden, aber bitte gelassen.

Der Vorwurf, der Miesepeter der Nation zu sein oder gar eine Art Sittenpolizei, gehört zu den schärfsten Waffen gegen die Grünen. Das hat die Partei 1998 zu spüren gekriegt, als sie forderte, der Liter Benzin solle fünf Mark kosten. 2010 dann, als die Grünen-Politikerin Renate Künast Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden wollte, wiederholte sich ein ähnliches Szenario. Mit einer Schlagzeile, die Grünen wollten Tempo 30 auf Berliner Straßen, begann ein Sturzflug in Umfragen. Es folgte: der Veggieday, der "mehr Menschen zum Nachdenken über 'eingefleischte' Konsumgewohnheiten bringen" sollte, wie es in einem Parteitagsbeschluss hieß.

Wer andere zum Nachdenken bringen will, mag inhaltlich tausendmal im Recht sein. Die Sache ist jedoch zum Scheitern verurteilt, wenn der Vorstoß im Duktus des Besserwissers daherkommt. Überlegenheit zu behaupten ist besonders gefährlich für eine Partei, deren Wähler zu recht als überdurchschnittlich gut gebildet gelten, als Gutverdiener, selbstbewusst, in vielerlei Hinsicht privilegiert. Von solchen belehrt zu werden, stößt bei weniger Privilegierten auf Widerstand. Zumal, wenn die Vorschläge mit Selbstgewissheit oder Moralinsäure gewürzt sind, wie das bei früheren Grünengenerationen gern der Fall war.

Auf den Ton kommt es also an, wenn die Habecks und Baerbocks jetzt vorangehen beim Klimaschutz, bei der Zukunft der Mobilität, beim Existenzthema Wohnen. Wer hier ernst machen will, darf ruhig mal am Allerheiligsten rütteln: an den Besitzverhältnissen an Grund und Boden etwa. Und wer sich nicht zu den vielen Trittbrettfahrern zählt, die jetzt Klimaschutz light verkaufen wie ein modisches Accessoire, muss den Menschen sagen, dass es ohne Verzicht nicht geht: Verzicht auf bequeme Weihnachtsflüge, auf die Autofahrt ins Büro oder den täglichen Fleischberg auf dem Teller.

Nein, Deutschland braucht kein Gesetz, das Vegetarismus verordnet, Flugzeuge zu No-go-Areas erklärt oder die Leute dazu verdonnert, auf sämtliche Wohltaten der Industriegesellschaft zu verzichten. Aber ja, es wird Gesetze geben müssen, die das Verharren in Verhaltensmustern erschweren, mit denen die Industriegesellschaft die Lebensgrundlagen des Planeten gefährdet. Die Kunst, diesen Wandel zu beschleunigen, besteht nicht in Alarmismus und Vorbetertum, sondern darin, auch nichtgrünen Besitzstandswahrern und Benachteiligten den Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten zu ermöglichen. Das geht nur mit Kommunikation auf Augenhöhe, mit Gelassenheit und ordentlich Selbstironie. Auch den Grünen ist Dazulernen hier noch erlaubt.

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