Süddeutsche Zeitung

Hessen:Tanzen, solange es noch rockt

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Von Susanne Höll, Hofheim

Puh, geschafft, fertig. Knapp zwölf Stunden vor dem selbstgesetzten Ziel Weihnachtsfest unterschrieben CDU und Grüne am vierten Advent den Vertrag für die Neuauflage ihrer Wunschkoalition. Alle Beteiligten waren bei der Unterzeichnung am Sonntag im Wiesbadener Landtag hundemüde, ausgelaugt, erschöpft vom Wahlkampf und den Bündnisverhandlungen. Die Protagonisten wollen nun bis Januar vor allem schlafen, jenseits der Familie möglichst wenig Menschen sehen und neue Kraft schöpfen. Die brauchen sie auch. Denn die nächsten fünf Jahre dürften für Schwarz-Grün in Hessen deutlich ungemütlicher werden.

Ungemütlich? Die Gremien beider Parteien hatten doch mit außerordentlich hoher Zustimmung am Samstag den Koalitionsvertrag gebilligt. Bei der Hessen-CDU votierte ein kleiner Parteitag hinter verschlossenen Türen einstimmig mit Ja. Bei den Grünen, die ihre Mitglieder nach Hofheim im Taunus geladen hatten, waren es erstaunliche 91 Prozent. Wer vor gut einem halben Jahrzehnt eine solche Harmonie zwischen Konservativen und Öko-Aktivisten prophezeit hätte, wäre schlichtweg für verrückt erklärt worden. CDU und Grüne waren ideologische Antipoden, auch und gerade in Hessen.

Die insgesamt erfolgreiche und im Stil vorbildliche Zusammenarbeit seit 2013 hat bei den Spitzenleuten, aber auch der Basis beider Seiten Vorurteile und Ressentiments ausgeräumt. Bei der Hessen-CDU hätten sich vor der Landtagswahl am 28. Oktober etliche zwar lieber die FDP als die Grünen zum Partner gewünscht. Aber für eine solche Zweierkoalition reichte es mathematisch bei Weitem nicht.

Für die Christdemokraten wäre allein die SPD als alternativer Koalitionspartner in Frage gekommen. Das aber wäre ein Pakt der Verlierer gewesen, CDU und Sozialdemokraten hatten bei der Wahl beide dramatisch an Stimmen eingebüßt. Also wieder mit den Grünen. "Ist okay": So beschreibt der derzeit geschäftsführende Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Volker Bouffier die Stimmung in Sachen Koalitionsvertrag auf dem kleinen Parteitag in Nidda.

Bei den Grünen ging es weitaus euphorischer, wenn nicht gar rauschhaft zu. Vertreter der Jugendorganisation, gemeinhin Kritiker nicht nur der CDU, sondern auch des eigenen Partei-Establishments, waren vom Koalitionsvertrag geradezu verzückt. "Wow, danke, danke, danke", erwies die Ko-Chefin der Grünen Jugend, Nele Siedenburg, den Unterhändlern ihre Reverenz. Andere Delegierte fanden das Abkommen "geil" und "phänomenal".

Faszination des Regierens

Kritik gab es nur an der vereinbarten Zustimmung Hessens im Bundesrat zum Freihandelsabkommen Ceta, vorausgesetzt, dass oberste deutsche und europäische Gerichte dagegen nichts einzuwenden haben. Für die Grünen hat es sich gelohnt, ganz viele hübsche Ideen und Projekte in den mit fast 200 Seiten äußerst umfangreichen Vertrag zu schreiben. Von der Spitze bis hinunter zur Basis sind fast alle begeistert. Nicht nur vom Vertrag, sondern von der Faszination des Regierens. Tatendurstig zeigen sie sich, die Mitglieder. Man werde darauf pochen, dass alle Pläne schnell und im grünen Sinne durchgesetzt würden, sagten etliche Redner in Hofheim. Und genau diese Erwartung dürfte ein Problem für die nächste schwarz-grüne Landesregierung sein, aus parteiinternen, aber auch aus konjunkturellen Gründen.

Denn in den nächsten Jahren, da sind sich Experten und Politiker relativ einig, wird die Wirtschaft nicht so florieren wie in jüngster Zeit. Die guten Steuereinnahmen, mit denen Koalitionen im Bund und in den Ländern etliche Wunschprojekte der jeweiligen Wählerklientel erfüllen konnten, werden nicht mehr so üppig ausfallen.

Auch die Arbeitslosigkeit könnte wieder steigen, öffentliches Geld als Kittmittel für den sozialen Zusammenhalt wird wohl knapper. "Natürlich machen wir uns darüber Gedanken", sagte in Hofheim jemand aus dem Kreis der Grünen-Spitze mit Blick auch auf die AfD. Der gelang im Oktober der Sprung in den Wiesbadener Landtag. Dort wird der Ton nun rauer werden. Von wirtschaftlich schlechteren Zeiten, da sind sich Hessens Grüne und Christdemokraten einig, dürfte vor allem die AfD profitieren.

Und die Landes-CDU, geschwächt nach den Verlusten bei der Wahl, steht vor einem Zeitenwechsel. Bouffier hat angekündigt, im Fall seiner Wiederwahl am Jahresanfang für weitere fünf Jahre im Amt bleiben und sich dann aus der aktiven Politik zurückziehen zu wollen. In zwei, drei Jahren muss also ein Nachfolger für ihn gefunden werden, jemand, der erst den Parteivorsitz übernimmt und das Zeug zum Ministerpräsidenten - oder zur Ministerpräsidentin - hat.

Einen klaren Favoriten gibt es derzeit nicht. Lange galt Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) als Kronprinz, inzwischen fällt aber auch der Name des Landtagsfraktionsvorsitzenden Michael Boddenberg. Das Ringen hat wohl gerade erst begonnen. Ob der oder die Nächste so offen für Anliegen der Grünen ist wie Bouffier, dürfte interessant werden - was es für die Koalition bedeuten würde, ist schon jetzt Gegenstand von Mutmaßungen in beiden Parteien. "Es wird holpriger, sicher", sagt einer aus der christdemokratischen Riege mit Blick auf die Zukunft.

Die beginnt nach dem hessischen Kalender am 18. Januar. Dann stellt sich Bouffier im Landtag zur Wiederwahl. Schwarz-Grün hat gerade einmal eine Stimme Mehrheit. Dass er alle Stimmen von CDU und Grünen erhält, wird aktuell nicht bezweifelt. Aber anschließend wird es sicher unkomfortabler werden.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2018
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