Süddeutsche Zeitung

Grüne:Bloß keine Häme

Mit einer Mischung aus staatstragender Besorgnis und Erwartung schauen die Grünen im Moment auf die Geschehnisse in der CDU.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Sie üben jetzt schon mal für den Ernstfall, auch auf internationalem Parkett. Am Freitagabend zum Beispiel wollten die Grünenvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck sich mit Frankreichs Staatspräsident Emanuel Macron treffen, am Rand der Münchner Sicherheitskonferenz. Ein "informeller Austausch" war da geplant. Wichtigste Botschaft des Treffens, jedenfalls aus grüner Sicht: Die Partei mischt jetzt mit bei den Mächtigen der Welt. Und ja, es lief schon mal schlechter für die Partei.

Seit in Thüringen die Wahl des Ministerpräsidenten gescheitert ist und die CDU um Abgrenzung von AfD und Linkspartei ringt, steckt die Union in einer Führungskrise. Die Grünen, schärfste Rivalin der CDU im Bund, betrachten das Szenario mit einer Mischung aus demonstrativem Entsetzen und Erwartung. Dass nach der SPD nun auch die CDU ins Trudeln gerät, sei gefährlich fürs Land und die Demokratie, ist in der Partei zu hören. Jetzt bloß keine Häme, ist da die Losung. Gleichzeitig wissen die Grünen, dass die Selbstzerstörung der CDU sie dem Kanzleramt ein Stück näher bringen könnte. Und das Selbstbewusstsein? Wächst täglich.

"Ich erwarte, dass die CDU die Fliehkräfte nach Rechtsaußen stoppt", sagt die Parteivorsitzende Annalena Baerbock, wenn sie gefragt wird, welche Konsequenzen aus dem Thüringen-Debakel zu ziehen seien. Dass dort ein FDP-Mann zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, mit Stimmen von AfD und auch der CDU, hat die Grünen schockiert. Fast schlimmer noch finden einige es inzwischen, dass es der Bundesspitze der CDU nicht gelingt, die Abgrenzung gegen die AfD durchzusetzen - oder die rechtsnationale Werteunion in die Schranken zu weisen. "Die Union stand immer für die Grundfesten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Das muss weiter gelten, gleich, wer die Union führt", sagt Baerbock.

Aber auch die Grünen könnten Schaden nehmen an dem ungelösten Konflikt. Viele fragen sich dort jetzt, wie Schwarz-grün im Bund begründet werden soll, wenn nach jeder Landtagswahl gezittert werden muss, ob die CDU mit der AfD anbandelt. 2021 etwa wählt Sachsen-Anhalt. Der Vizevorsitzende der Landtags-CDU hat sich dort gegen die Abgrenzung von der AfD verwahrt: Es gelte, "das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen".

Wer sich beim grünen Spitzenpersonal erkundigt, wo genau eigentlich die rote Linie verläuft, an der Schwarz-grün im Bund scheitern würde, erhält keine Antwort. "Je weiter die CDU nach rechts rückt, desto schwieriger wird natürlich die Zusammenarbeit mit ihr", sagt Parteichefin Baerbock. Aber "was wäre, wenn" zu spielen und über mögliche Szenarien zu spekulieren, verschärfe die Krise nur, findet sie. "Es hieße, in vorauseilendem Gehorsam anzunehmen, dass die AfD immer stärker wird." Damit überlasse man "den Rechtsextremen die Hoheit über die Politik des Landes, die Handlungsmöglichkeiten und den Diskurs".

Die Grünen fahren jetzt auf Sicht - und kündigen an, den Druck auf die CDU hoch zu halten. "Dass die Union die Tore nach rechts geschlossen hält, ist für die Grünen der entscheidende Maßstab für die Bewertung der CDU und ihrer künftigen Führung", sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. "Davon hängt der Kurs dieses Landes ab." Und wenn die CDU die Tore nach rechts nicht zukriegt? "Dann hat die Union mit den Lehren der Nachkriegsordnung gebrochen."

Zu unbarmherzig allerdings sollte der Tonfall gegenüber der Union auch nicht werden, warnt die grüne Reala Franziska Brantner. "Wir müssen uns fragen, wie wir die Konservativen dazu kriegen, eine gemeinsame Brandmauer gegen rechts hochzuziehen", sagt die Bundestagsabgeordnete. Immer neue Abgrenzungsmanöver seien da nicht hilfreich. Im Übrigen habe sie "keine Angst vor Friedrich Merz".

Der Kapitalismus-Versteher und Merkel-Verächter Merz ist bei den meisten Grünen ungefähr so beliebt wie Hackepeter bei Veganern. Strategisch allerdings könnte es den Grünen nützen, würde Merz CDU-Chef und Kanzlerkandidat, so ihr Kalkül. Wer flaue Witze über Frauen reiße und mit kalter Besserwisserei daherkomme, vergraule genau die Wählergruppen, die schon im Bayernwahlkampf von der CSU zu den Grünen gelaufen seien: liberale Konservative, urbane Bildungsbürger, weltoffene Christen, Frauen.

"Es gäbe sicher einige bei der CDU, die den Grünen näher stehen als Friedrich Merz", sagt der Parteilinke Jürgen Trittin. Koaliert werde aber mit Parteien, nicht mit Personen. Nichts sei schlimmer, als bei Koalitionsverhandlungen mühevoll Kompromisse auszuhandeln, die der Gesprächspartner dann aber mangels Autorität in der eigenen Partei nicht durchsetzen könne - im Fall der CDU etwa im national-konservativen Lager. "Entscheidend ist, wer in der CDU den Laden hinter sich bringt", sagt Trittin.

Durchsetzungsfähigkeit an der CDU-Spitze sei jetzt wichtiger als Grünennähe, soll das heißen, und Gehör zu finden bei rechten Unionisten sei nicht unbedingt von Schaden. Und wenn die CDU die innere Spaltung nicht überwinden kann? "Wenn die Erosion sich fortsetzt, müssen wir vielleicht gar nicht mit der CDU reden", sagt Trittin. Er klingt nicht übermäßig traurig.

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SZ vom 15.02.2020
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