Grüne:Bloß keine Experimente

Grüne: Grüne Hoffnung im Wartestand: Annalena Baerbock.

Grüne Hoffnung im Wartestand: Annalena Baerbock.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die Nach-Jamaika-Grünen tun sich schwer mit der Erneuerung: Die Spitzenleute nach der gescheiterten Sondierung abstrafen will keiner. Aber eine Veränderung ist nötig.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Wer die Grünen der Nach-Jamaika-Ära fragt, wie es jetzt weitergeht, auch an den Spitzen von Partei und Fraktion, gerät ins Reich der Diplomatie. Es sei ja noch nicht klar, wer das Land demnächst regiere, ist da zu hören. Bis man wisse, ob neu gewählt werde oder nicht, könne die Partei schlecht übers eigene Führungspersonal entscheiden. Es gebe keinen Aufstand, nein, versichern Grüne aller Parteilager. Es wolle auch keiner die Spitzenleute abstrafen, die sich bei den Jamaika-Sondierungen so wacker geschlagen hätten. An dieser Stelle kommt dann oft das Aber: Aber eine Erneuerung an der Spitze sei eben auch irgendwie nötig.

Die Betonung liegt auf irgendwie, denn zwei Wochen nach Ende der Jamaika-Sondierungen sind die Grünen in einer verzwickten Lage. Zum einen hoffen nicht wenige in der Partei immer noch, dass Union und SPD nicht zur großen Koalition zusammenfinden. Man wartet ab. Zum anderen aber stehen bei den Grünen wichtige Personalentscheidungen an, und zwar bald. Ende Januar sollen Parteivorsitzende gewählt werden, wenn es nicht zur Neuwahl des Bundestags kommt. Und schon am 11. Januar trifft die grüne Bundestagsfraktion sich zur Klausur. Hier könnte eine Entscheidung fallen, ob die neuen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag die alten sein werden.

Die Amtsinhaber jedenfalls haben schon mal angemeldet, dass sie nicht gedenken, ihre Posten abzugeben. "Ich will sehr gern die Fraktion in den nächsten Jahren führen", sagt Katrin-Göring Eckardt. Auch Fraktionschef Anton Hofreiter, der wie Göring-Eckardt kürzlich noch auf ein Jamaika-Ministerium hoffen durfte, sieht seinen Platz jetzt wieder in der ersten Reihe im Bundestag. "Ich will wieder für den Fraktionsvorsitz kandidieren", sagt er. Eine 51-jährige Reala und ostdeutsche Protestantin mit einem 47-jährigen Biologen und Parteilinken aus dem Westen, das habe sich bewährt, findet Hofreiter: "Es hat sich als sehr erfolgreich erwiesen, die Partei in ihrer ganzen Pluralität abzubilden. Ich halte das für eine unserer Stärken."

Stabilität und bloß keine Experimente in Zeiten, in denen die AfD im Bundestag sitzt und sechs Fraktionen die Lage unübersichtlich machen - so argumentiert auch Britta Haßelmann. Sie ist erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, auch über ihren Posten soll im Januar entschieden werden. "Ich finde, das ist eine tolle Aufgabe. Deshalb habe ich mich entschlossen, wieder zu kandidieren", sagt sie. Bei den Grünen wird Haßelmanns Arbeit gelobt. Wird sie gefragt, ob es an den Spitzen der Grünen-Fraktion nicht Zeit für eine Verjüngung wäre, sagt sie: "Dann muss man kandidieren."

Gemeint sind da die Jüngeren, die vor den Jamaika-Sondierungen noch unmissverständlich klargemacht hatten, dass bei den Grünen mal gelüftet werden müsse und eine personelle Erneuerung anstehe. Die Innenpolitikerin Irene Mihalic gehörte zu ihnen, eine 41-jährige Ex-Polizistin aus Gelsenkirchen, die es bei den Grünen in wenigen Jahren zu viel Anerkennung gebracht hat. Parteichefin will sie nicht werden, sagt sie, und zum Fraktionsvorsitz möchte sie nichts sagen. Aber es ist kein Geheimnis, dass Partelinke wie Mihalic nach den vielen Jamaika-Kompromissen jetzt ein klares Konzept der Fraktionschefs erwarten, jenseits grün-schwarzer Harmonie.

Aufbruch wünscht sich auch Annalena Baerbock, Völkerrechtlerin aus Brandenburg und eine grüne Wunschkandidatin für die Parteispitze. Sie stehe "derzeit" für den Parteivorsitz nicht zur Verfügung, sagte sie vor den Jamaika-Sondierungen. Jetzt klingt das anders. Parteichefin, Fraktionsvorsitz, Parlamentarische Geschäftsführerin? Baerbock sagt weder Ja noch Nein. Parteichefin allerdings dürfte die Reala nicht werden, falls Realo Robert Habeck antritt. "Ich finde es wichtig, dass wir in Personalfragen jetzt gemeinsam agieren", sagt die 36-Jährige, die gegen eine Frischzellenkur für die Grünen nichts hätte: "Wir müssen unsere Politik an den Realitäten im Hier und Jetzt definieren, nicht allein an dem, was wir in der Vergangenheit erreicht haben."

Eine Revolte gegen Altgediente ist das nicht, aber es kann als Aufforderung auch an die Gorleben-Generation verstanden werden, Pfründe abzutreten. Der Innenpolitiker Konstantin von Notz, der den Grünen-Ahn Christian Ströbele als Geheimdienstkontrolleur beerben könnte, hält Stabilität in unruhigen Zeiten für wichtig, sagt er. "Aber mit Blick auf die nächsten vier Jahre sollten wir schon über eine Erneuerung nachdenken, auch in der Fraktion." Das klingt, als sei bei den Grünen das letzte Wort noch nicht gesprochen.

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