Süddeutsche Zeitung

Baden-Württemberg:Die Basis hat sich beruhigt

Beim Landesparteitag der Grünen in Heilbronn geht es noch einmal um die Koalitionsfrage. Die Kritik am angestrebten Bündnis mit der CDU ist fast verstummt.

Von Claudia Henzler, Stuttgart

Die grüne Basis in Baden-Württemberg hat ihre Irritationen darüber weitgehend überwunden, dass sich ihr Spitzenkandidat Winfried Kretschmann und letztlich auch die Parteispitze gegen Verhandlungen über eine Ampelkoalition mit SPD und FDP ausgesprochen haben. Beim Landesparteitag in Heilbronn, auf dem an diesem Wochenende die Listenkandidaten für die Bundestagswahl nominiert werden, erklärten etliche Delegierte, dass sie die Entscheidung, mit der CDU über eine weitere gemeinsame Regierungszeit zu verhandeln, nach anfänglichem Unmut akzeptieren könnten.

Ein Signal für mögliche Regierungsbündnisse auf Bundesebene, das haben etliche Redner deutlich gemacht, soll von einer möglichen Neuauflage von Grün-Schwarz in Stuttgart aber auf keinen Fall ausgehen. Aus Berliner Sicht habe sie sich ein anderes Bündnis gewünscht, sagte die scheidende Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl - doch die Entscheidung müsse im Land getroffen werden und sei angesichts der Sondierungsergebnisse nachvollziehbar.

Attacken gegen die Union

Die mögliche weitere Zusammenarbeit mit der CDU in Baden-Württemberg hielt die grünen Bundestagskandidaten auch nicht davon ab, harte Kritik an der Union zu üben. So geißelte Cem Özdemir, der mit seiner Bundestagskollegin Franziska Brantner die Landesliste für die Bundestagswahl anführt, die "grottenschlechte Politik im Verkehrsministerium" der Bundesregierung und erinnerte an Meldungen, denen zufolge Unionsabgeordnete "ungesunde Verbindungen ins autoritäre Aserbaidschan haben". Winfried Kretschmann habe gezeigt, dass man mit Klimaschutz Wahlen gewinnen könne, sagte Özdemir. "Und das machen wir jetzt auch im Bund - mit Annalena und Robert, oder Robert und Annalena."

Spitzenkandidatin Franziska Brantner sagte, es gehe bei der Bundestagswahl nicht um Ampel oder andere Konstellationen. "Es geht um eine andere, bessere Politik. Es geht um Grün vor Schwarz. Es geht um die Politik des Gehörtwerdens vor schwarzem Sumpf, es geht um grüne Transparenz vor schwarzen Kassen, es geht um grüne Werte vor Eigennutz."

Gregor Kroschel, Kreisvorsitzender in der Grünen-Hochburg Freiburg, hatte beispielhaft geschildert, warum das Ende der Sondierungsgespräche so viel Aufregung verursacht hat: "Wir haben für einen neuen Aufbruch Wahlkampf gemacht, und um einen Klotz am Bein loszuwerden." Entsprechend groß sei am Abend der Landtagswahl am 14. März die Begeisterung gewesen, dass eine Alternative zu Grün-Schwarz möglich wurde. "Für uns standen automatisch - vielleicht zu automatisch - SPD und FPD für Aufbruch, für neue Möglichkeiten, für unser Lager", sagte Kroschel. Geändert habe sich das, nachdem der FDP-Fraktionsvorsitzende sich vergangene Woche vehement gegen Verbote und Regulierungen ausgesprochen und ausdrücklich erklärt hat, dass seine Partei dem Sondierungspapier nicht zugestimmt hätte, auf das sich Grüne und CDU geeinigt haben. Mit Blick auf das Sondierungspapier sagte Kroschel: "Wenn wir wirklich erreichen, was da drinsteht, dann haben wir sehr viel erreicht."

"Wirklich ambitioniertes Klimaschutzprogramm"

Selbst der Sprecher der Grünen Jugend zeigte sich einigermaßen versöhnt. "Es ist kein Geheimnis, dass wir die Entscheidung, nochmal mit der CDU zu regieren, enttäuschend fanden - und dass das falsche Signale für die kommende Bundestagswahl setzt", sagte Denis Gedik. Viele Bündnispartner aus der Zivilgesellschaft seien unzufrieden gewesen mit der Politik der grün-schwarzen Regierung. Dass Kleinstparteien wie die Klimaliste erstmals zur Landtagswahl angetreten sind, zeige diesen Unmut. Jetzt müsse man sehen, inwiefern die CDU in Baden-Württemberg "verlässliche inhaltliche Versprechungen" abgibt. Die Grüne Jugend behalte sich das Recht vor, dem Koalitionsvertrag nicht zuzustimmen, "wenn zu viele Kompromisse gemacht werden".

Kretschmann hatte zu Beginn des Parteitags ausführlich erläutert, warum er sich für Verhandlungen mit der CDU ausgesprochen hat. Er bezeichnete es dabei als Stärke, dass die Grünen kontrovers über die Koalitionsfrage diskutiert haben. "Das will gut abgewogen sein. Zumal das Agieren der CDU in den letzten eineinhalb Jahren in der Regierung einige von uns doch sehr frustriert hat." In den Sondierungen sei die CDU jedoch bereit gewesen, ein "wirklich ambitioniertes Klimaschutzprogramm" mitzutragen. "Und das ist nicht bloß Absichtserklärung, das ist fest vereinbart." Es handle sich um "ein Programm, das es so in keinem anderen Bundesland gibt".

Für die anstehenden Veränderungen, die Dekarbonisierung und Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, ist nach Kretschmanns Ansicht eine "breite Basis" notwendig - "auch in den Kommunen und Unternehmen, in den Verbänden und Vereinen vor Ort, von den Fridays bis hin zu den Landräten". Es werde Widerstand geben, auch deshalb sei die CDU der richtige Partner. "Denn wir Grüne und die CDU - das sind nun mal die beiden Parteien, die am breitesten und am tiefsten in der Gesellschaft verankert sind. Das ist eine gute Grundlage, um den Wandel aktiv zu gestalten."

Winfried Hermann, der bei der Parteilinken besonders beliebte Verkehrsminister von Baden-Württemberg, warb ebenfalls um Verständnis für das Votum des Landesvorstands, dem er angehört. Es sei "vordergründig interessant" gewesen, mit einer neuen Koalition "einen sichtbaren Neuanfang" zu machen, sagte er. Die FDP bezeichnete Hermann als "eine marktradikale Partei", die in vielen Themen weit weg von den Grünen sei. "In zentralen Punkten wollen die genau das Gegenteil."

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