Kurz bevor es ernst wird, verwandelt ein Platzregen den alternativen Biergarten, in dem die Grünen zum Start der Sommerferien einen lässigen Wahlkampfstart hinlegen wollen, in einen traurigen Ort mit tropfenden Topfpflanzen. Wenige Minuten später ist der Regenguss aber schon wieder vorbei. Schnell sind die Bänke abgetrocknet. Und als Annalena Baerbock schließlich spricht, da lacht tatsächlich die abendliche Sonne vom blauen Himmel. Hätte man nicht schöner inszenieren können.
Wenn es nach den Grünen geht, so darf man annehmen, könnte diese Veranstaltung gerne sinnbildlich für ihren Wahlkampf stehen: Nach kaltem Schauer zu Beginn soll nun, in den entscheidenden Wochen vor der Bundestagswahl Ende September, alles gut werden.
Die Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin Baerbock wird sich demnächst auf eine von der Berliner Parteizentrale organisierte Wahlkampftour begeben. Vorher schaut sie kurz in Baden-Württemberg vorbei, dem Bundesland, in dem die Grünen seit zehn Jahren die Regierung führen. Ein Termin, der der Selbstvergewisserung dient. Man will endlich wieder auf die Erfolgsspur zurück und nach dem verpatzten Wahlkampfstart an die sensationellen Umfragewerte von Anfang Mai anknüpfen, als die Grünen bei bis zu 28 Prozent gesehen wurden.
In früheren Jahren, ohne Pandemie, hätte man mit dem Programm dieses Abends locker eine Halle gefüllt. So aber versuchen Baerbock, Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die beiden baden-württembergischen Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Franziska Brantner vor etwa 200 Parteifreundinnen und -freunden Zuversicht zu verbreiten, einige weitere Hundert schauen daheim am Bildschirm zu.
Für einen Auftakt vor dem Auftakt ist Baden-Württemberg gut gewählt. Als es den Grünen dort 2011 überraschend gelang, die CDU aus der Regierung zu verdrängen, befürchteten einige Firmenchefs im Land ernsthaft, dass es mit der Industrie fortan bergab gehen könnteoder gar die Lichter ausgehen würden. Beides war bekanntlich nicht der Fall. Heute ist der grüne Ministerpräsident in vielen Unternehmen gern gesehener Gast. Am Mittwochabend können Kretschmann und Baerbock deshalb in Heidelberg ganz selbstverständlich in ihre Reden einflechten, dass sie eben noch Daimler-Chef Ola Källenius besucht haben.
Sprungbrett für die ehemalige Trampolin-Turnerin
Früher haben sie in der Bundespartei in Berlin schon mal die Augen verdreht über den Oberrealo in Stuttgart. Jetzt dient Baden-Württemberg als Beweis, dass man keine Angst vor den Grünen haben muss. Der große Respekt, den Kretschmann in seinem Bundesland genießt, soll der zuletzt arg gebeutelten Kanzlerkandidatin den Rücken stärken. Die Landesvorsitzende Sandra Detzer packt das mit Blick auf Baerbocks früherer Karriere als Trampolin-Turnerin in den Satz: "Wir wollen dein Sprungbrett sein, hier in Baden-Württemberg."
Kretschmann kritisiert in seiner Rede einmal mehr, dass in diesem Wahlkampf monatelang "unwichtige Fragen rauf und runter gewälzt" worden seien. Dann aber konzentriert er sich voll auf die Inhalte, die nun im Vordergrund stehen müssten, wie er sagt. "Worum es da geht, haben uns leider die schockierenden Ereignisse der letzten Wochen vor Augen geführt." Nach der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfallen müsse klar sein, dass in der Klimaschutzpolitik deutlich mehr passieren müsse als bisher. "Noch können wir den Klimakollaps verhindern, aber dafür brauchen wir endlich eine Bundesregierung, die entschlossen vorangeht."
Von den "ganz großen liberalen Schlaumeiern", die den Grünen wieder mal vorwerfen, dass sie eine Gebots- und Verbotspartei seien, dürfe man sich nicht verunsichern lassen, sagt Kretschmann. Wichtig sei, die Dinge in die richtige Relation zu setzen: Natürlich handle es sich um einen Eingriff ins Privateigentum, wenn er den Bürgern in Baden-Württemberg jetzt vorschreibt, Solaranlagen auf ihren Dächern zu installieren. Aber gemessen an dem, was passiere, wenn der Klimawandel nicht aufgehalten wird, seien das "ganz milde Dinge". Und wer das Gefühl habe, dass Windräder die Landschaft verschandeln, dem müsse klar sein, dass der Klimawandel die Landschaft wesentlich brutaler verändern werde.
"Wir rocken das"
An Annalena Baerbock vergibt der 73-jährige Regierungschef das höchste Lob, das er als Max-Weber-Fan zu bieten hat. In seinem bekannten Vortrag "Politik als Beruf" habe Weber aufgezählt, welche Voraussetzungen ein guter Politiker mitbringen müsse, sagt Kretschmann. "Leidenschaft zur Sache, Augenmaß und Verantwortungsgefühl - und bei Annalena mache ich hinter jede dieser drei Eigenschaften einen dicken grünen Haken." Er finde, "dass sie die Richtige ist, um das Land durch eine schwierige Zeit zu führen. Sie hat einen klaren Kompass, weil sie auch an die denkt, die Angst vor der Veränderung haben." Kretschmann überzieht die vorgesehene Redezeit um einiges und macht damit deutlich, dass es für ihn hier um mehr geht als pflichtbewusste Unterstützung seiner Kanzlerkandidatin. Die Bühne übergibt er ihr mit den Worten: "Wenn ich 50 Jahre jünger wäre, würd' ich sagen: Wir rocken das."
Baerbock selbst hält ihre Rede kurz. Das ist so vorgesehen, es soll ja noch eine Runde mit Fragen aus dem Publikum geben, bei der sie zeigen kann, dass sie sich auf allen Feldern der Bundespolitik auskennt. Bei der Klimaschutzpolitik erinnert sie daran, dass es "eine bewusste Entscheidung der Union" gewesen sei, den Ausbau von Windkraft und Photovoltaik im Erneuerbare-Energien-Gesetz zu deckeln. "Ehrlich gesagt ist das eine Veräppelung der Menschen in diesem Land." Der Deckel müsse weg, zwei Prozent der Landesfläche müssten für Windräder reserviert werden.
Das Land brauche eine "Zukunftswirtschaftspolitik" mit grünen Technologien, die hier in Baden-Württemberg dank der grünen Regierung in Stuttgart schon eifrig entwickelt würden. Wichtig sei ihr, "die vielfältigen Stimmen an einen Tisch zu holen", so wie Kretschmann es mit seinem Strategiedialog für die Automobilwirtschaft vorgemacht habe. Baden-Württemberg sei die "Blaupause" sagt sie einmal mehr.
Die Grünen in Heidelberg hatten sie schon zu Beginn mit Jubel und rhythmischem Klatschen empfangen. Am Ende ist der Jubel noch größer. Baerbock ist schon weg, als eine junge Frau zu Franziska Brantner kommt und sich bedankt: Man müsse sich an den Infoständen im Wahlkampf ja viel anhören. Da habe dieser Abend einfach nur gutgetan. Mission Selbstvergewisserung erfüllt.