Die Grünen und die Atomfrage:Der Aufstand bleibt aus

Die Grünen und die Atomfrage: Wirtschaftsminister Habeck stellte am Montag die Resultate des zweiten Stresstests zum kommenden Winter vor.

Wirtschaftsminister Habeck stellte am Montag die Resultate des zweiten Stresstests zum kommenden Winter vor.

(Foto: Chris Emil Janssen/Imago)

Reservebetrieb ja, Ausstieg vom Ausstieg nein - dieser Habeck'sche AKW-Kompromiss zugunsten winterlicher Notreserven erleichtert die Grünen. Allerdings nicht alle.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Jetzt wird also diskutiert bei den Grünen, auf allen Kanälen. Ein Aufstand innerhalb der Partei in der Atomfrage dürfte allerdings eher ausbleiben. Denn auch wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck angekündigt hat, zwei süddeutsche Atomkraftwerke Ende Dezember nicht abzuschalten wie geplant, sondern in den Reservebetrieb zu versetzen: Sie sollen nur dann wieder angefahren werden, wenn konkrete Stromengpässe drohen. In Habecks Partei machte sich nach dieser Ankündigung Erleichterung Luft. Es hätte schlimmer kommen können aus grüner Sicht.

"Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es zu stundenweisen Stromausfällen kommen könnte", sagt die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang der Süddeutschen Zeitung. Allerdings, so räumt sie ein, sei "vereinzelt nicht auszuschließen", dass es wegen Gasmangels im Winter zu Engpässen in der Stromversorgung kommen könnte. "In dieser Situation wäre es falsch, nicht auf Nummer sicher zu gehen." Der Grünen-Vorstand halte es daher für richtig, zwei der drei noch verbleibenden Atomkraftwerke in die Reserve zu versetzen. Nur als "Ultima Ratio" werde diese Einsatzreserve genutzt, für wenige Monate. "An der Entscheidung zum Atomausstieg halten wir fest."

Damit folgt die grüne Parteispitze exakt dem Pfad, den der Wirtschaftsminister eingeschlagen hat. Zusammen mit Übertragungsnetzbetreibern präsentierte Habeck am Montagabend die Resultate eines Stresstests, bei dem verschiedene Krisenszenarien simuliert wurden, die wegen fehlender Gaslieferungen zur Abschaltung von Industriebetrieben führen könnten. Das Ergebnis der Netzbetreiber: Stundenweise Stromkrisen könnten nicht ganz ausgeschlossen werden, Atomkraft könnte den Druck etwas lindern. Habecks Fazit: Zwei Kernkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg sollen notfalls wieder hochfahren können, ein drittes Werk in Niedersachsen soll wie geplant abgeschaltet werden. Einen längerfristigen Betrieb schloss Habeck aus.

In der Bundesregierung löst er damit Ärger aus. FDP-Chef Christian Lindner forderte, die Atomkraftwerke bis 2024 weiterlaufen zu lassen. Er sucht die Auseinandersetzung mit den Grünen, die sich aber gelassen geben: Habeck habe keinen Verhandlungsvorschlag gemacht, sondern den jetzt zu beschreitenden Weg beschrieben. Dass die FDP anderer Meinung sei, ändere nichts am Lauf der Dinge.

Die AKWs lösen die Probleme nicht - das denken viele

Der Grund für den selbstbewussten Ton ist im Kanzleramt zu finden: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat Habecks Vorschlag längst zugestimmt. Nicht nur, um aus strategischen Gründen den Grünen einen Bruch mit einem Kernanliegen zu ersparen. Sondern auch, weil er die - über grüne Kreise hinaus - verbreitete Meinung teilt, dass ein Weiterbetrieb der letzten Atomkraftwerke Deutschlands Energieprobleme nicht lösen wird. "Grundsätzlich bleibt es beim Ausstieg aus der Atomenergie", sagte Scholz denn auch am Dienstag der Frankfurter Allgemeinen.

In der grünen Parteizentrale ist nun ein Konferenzmarathon angelaufen, bei dem die Spitze Bedenken der Basis ausräumen will. Viele Parteimitglieder haben Fragen, denn Ende 2022 sollte schließlich Schluss sein mit den letzten drei Kernkraftwerken in Deutschland. Dafür haben die Grünen nicht nur Jahrzehnte gekämpft, es ist auch Gesetz. Immerhin erspart Habecks Kompromiss der Partei das noch schwierigere Szenario, dass Kernkraftwerke automatisch in den Streckbetrieb gehen.

"Dass jetzt maximal zwei Atomkraftwerke als Reserve gehalten werden, finde ich richtig", sagte Christian Meyer am Dienstag. Er ist grüner Spitzenkandidat in Niedersachsen, wo bald ein neuer Landtag gewählt wird. Niedersachsen ist Gorleben-Land, das Thema ist aufgeladen. Aber auch dort ist seit Habecks Ankündigung bei den Grünen Erleichterung zu spüren: Das dritte AKW, das im Emsland, soll ja abgeschaltet werden. Nichts als Wahlkampfhilfe, schimpfte CDU-Chef Friedrich Merz. "Absurd", gab Meyer zurück. Im Gegensatz zum deutschen Süden herrsche im Norden im Winter kein Strommangel wegen der vielen Windräder. Das Kraftwerk Emsland bringe im Ernstfall schlicht zu wenig Mehrwert.

Doch wie zeitgemäß sind die Anti-AKW-Argumente noch?

Eine Sorge aber bleibt der Bundestagsfraktion der Grünen einstweilen noch. Dass ein zeitlich begrenzter Kompromiss den Ausstieg aus dem Atomausstieg vorbereiten könnte. Ex-Umweltminister Jürgen Trittin hat bereits für den Parteitag im Oktober eine Atomdebatte angekündigt, es gibt bereits mehrere Anträge dazu. Der Bundesvorstand will in dieser Woche mit einem Dringlichkeitsantrag gegenhalten.

Nicht wenige Jüngere in der Partei wünschen sich aber auch eine innergrüne Debatte darüber, ob die Anti-AKW-Argumente der Achtzigerjahre in Zeiten der Klimakrise eigentlich noch zeitgemäß sind. Diese Sorgenträger finden das Wideranfeuern von Kohlekraftwerken deutlich problematischer als die Kernkraft. Trotzdem folgt die Grüne Jugend dem Wirtschaftsminister fürs Erste. In den Worten von Sprecher Timon Dzienus: "Wir brauchen keine weitere Debatte über eine unnötige Laufzeitverlängerung." Das klang ein bisschen nach basta.

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