So schnell geht das nicht mit dem Übergang in ein neues politisches Leben. Deshalb übergibt Thomas Küppers, Kandidat beim Gründungsparteitag der Neuen Liberalen in Hamburg, jetzt eine Visitenkarte, die er in verwischter Handschrift korrigiert hat. Mit einem Filzstift hat er die E-Mail-Adresse durchgestrichen, die ihn als Mitglied der Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen ausweist, und eine andere drübergeschrieben.
Thomas Küppers, 38, ein massiger Mann mit roten Locken und Fliege, Arzneimittel-Sicherheitstechniker aus Velbert, ist bei den Piraten Themenbeauftragter für Sozialpolitik. Er nutzt den Umstand, dass die Neuen Liberalen eine Doppelmitgliedschaft erlauben.
Endlich mal Politik machen
Aber klar ist auch, dass er den Absprung so gut wie vollzogen hat. "Die Piraten sind abgefrühstückt", sagt er. Küppers gehört zu einem ganzen Trupp von Piraten, die keine Lust mehr haben auf Krawalldebatten und kleine Skandälchen im Alltag. "Die meisten", sagt Küppers, "möchten einfach saubere, soziale Politik machen."
Die sozialliberale Bewegung in Deutschland ordnet sich neu. So zumindest wollen die Pionierpolitiker die Initiative verstanden wissen, die am Sonntag im Bürgerhaus Wilhelmsburg in einen geordneten, fast unspektakulär sachlichen Gründungsparteitag mit 150 Teilnehmern mündete.
Und in der Tat wirken die Neuen Liberalen wie das Konzentrat aus den enttäuschten Hoffnungen verschiedener freiheitlich eingestellter Charaktere, die vor allem eins vereint: Sie wollen Gut-Bürger sein, nicht Wut-Bürger, und sie wollen sich nicht festlegen auf eine Klientelpolitik, die sich in erster Linie für die Kassen der Industrie interessiert.
Die FDP ist für viele von ihnen der Ausgangspunkt ihres politischen Lebens gewesen. Für die beiden Parteivorsitzenden aus Hamburg zum Beispiel, die mit großer Zustimmung gewählt wurden: für Najib Karim und Sylvia Canel. Der Biochemiker Karim, 41, in Afghanistan geboren, in Hamburg aufgewachsen, gehörte zum Hamburger FDP-Vorstand, bis er den Kurs der FDP endgültig für zu sozialvergessen fand. "Ich finde das Programm der FDP gut, aber an der Umsetzung hapert es", sagt er.
Die Lehrerin Sylvia Canel, 56, bis vor Kurzem FDP-Landeschefin in Hamburg und ehemals Bundestagsabgeordnete, hatte den Eindruck, mit ihren Vorstellungen von Liberalismus nicht mehr durchzudringen. "Der größte Feind der FDP ist die FDP selber, und ich bin froh, dass es einen neuen Anfang gibt", sagt sie.
Neue Liberale setzen nicht auf schnellen Start
Aber die 250 eingetragenen Mitglieder kommen nicht nur von der FDP. Gerade die Start-up-Partei Piraten liefert den Neuen Liberalen zu. Der sozialliberale Flügel der Piraten hat sich entfremdet von dem Flügel, den man digitalliberal nennen könnte und der sich vor allem für die Internet-Welt interessiert. Und gerade die abdriftenden Piraten waren begeistert vom Hamburger Gründungsparteitag, weil die Teilnehmer dort so diszipliniert diskutierten.
Als "euphorisch", beschreibt Thomas Küppers noch am Montag seine Stimmungslage, obwohl er mit seiner Kandidatur zum programmatischen Leiter scheiterte. "Wir haben hinterher gesagt: So soll es sein." Er hat noch die Parteitage der Piraten im Kopf, und er ahnt, was dort passiert wäre, wenn sich dort ebenso ehemalige AfD-Mitglieder als geläuterte Überläufer vorgestellt hätten wie am Sonntag bei den Neuen Liberalen: "Das wäre explodiert."
Die FDP versucht die Neuen Liberalen klein zu spielen. Tatsächlich ist nicht zu erwarten, dass die Partei direkt durchstartet wie die AfD oder einst die Piraten. Populistische Thesen vertritt sie jedenfalls nicht, sondern einen europafreundlichen Kurs sowie ein moralisches Freiheitsverständnis im Sinne einer offenen, sozialen Gesellschaft.
Viele junge Mitglieder
Najib Karim sagte bei seiner Vorstellung: "Sehen Sie es mir nach, wenn ich manchmal so dröge rede." Er hat es gerne sachlich. Fast könnte man sagen: Die Neuen Liberalen sind zu vernünftig, um den großen Parteien viele Wähler abzuknöpfen. Aber die Partei will ja auch mehr als schnellen Erfolg, sie will eine Zukunft. Und in dieser Hinsicht konnte man beim ersten Parteitag Interessantes beobachten.
Viele junge Leute saßen im Plenum. Manuel Schulze, der gewählte Bundes-Organisationsleiter, ist erst 26. Für das Bundespressesprecher-Amt kandidierte der 19-jährige Bremer Samuel Frey mit einer programmatischen Rede, die so etwas wie der emotionale Höhepunkt des Parteitags war. Von Politikverdrossenheit war nicht viel zu spüren an diesem Sonntag im Bürgerhaus von Wilhelmsburg.