Nach wochenlangen Diskussionen haben sich Grüne und SPD in Baden-Württemberg auf einen Volksentscheid über das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 geeinigt. Der designierte grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und SPD-Verhandlungsführer Nils Schmid teilten am Mittwochabend in Stuttgart mit, die Bürger sollten bis spätestens Oktober über die Landeszuschüsse für den umstrittenen Bahnhofsbau entscheiden.
Schmid sprach von einem "Durchbruch" für die gesamten Koalitionsverhandlungen nach "hartem Ringen". Nun könnten die beiden Parteien ihren Koalitionsvertrag wie geplant am kommenden Mittwoch präsentieren. Die Bahnhofsfrage galt als Knackpunkt der Gespräche. Die Grünen lehnen den Bau des Tiefbahnhofs ab, die SPD befürwortet ihn.
Kretschmann und Schmid bekräftigten, die Volksabstimmung solle nach Maßgabe der baden-württembergischen Landesverfassung stattfinden. Kretschmann versicherte: "Wenn es ein Ergebnis gibt, dass Stuttgart 21 gebaut werden soll, werden wir uns an so ein Ergebnis halten." Auf Nachfrage bestätigte er, dass die Grünen das Ergebnis auch dann akzeptieren würden, wenn die Bürger Stuttgart 21 ablehnen, der Bahnhof aber trotzdem gebaut werden muss, weil das nötige Quorum nicht erreicht wurde.
Um einen Volksentscheid zu gewinnen, ist in Baden-Württemberg die einfache Mehrheit der Stimmen nötig, diese muss aber mindestens aus einem Drittel der Wahlberechtigten bestehen - das wären mehr als 2,5 Millionen. Die Grünen hatten keinen Hehl daraus gemacht, dass sie diese Hürde für unüberwindbar halten. Daher hatten sie bis zuletzt versucht, eine informelle Bürgerbefragung durchzusetzen. Die SPD wies solche Überlegungen zurück. Beide Parteien hatten im Wahlkampf eine Volksabstimmung versprochen.
Grün-Rot braucht die Stimmen der CDU
Nun kündigten Kretschmann und Schmid an, das Quorum noch vor der Abstimmung durch eine Verfassungsänderung senken oder ganz abschaffen zu wollen. Dafür brauchen sie eine Zweidrittelmehrheit im Landtag und damit die Stimmen der CDU. "Wir werden mit allen Landtagsparteien Gespräche aufnehmen", sagte Kretschmann.
Während die Grünen bei den Verfahrensfragen der Volksabstimmung letztlich die Position der SPD akzeptieren mussten, machten die Sozialdemokraten das Zugeständnis, dass die ICE-Neubaustrecke Wendlingen-Ulm bei der Abstimmung nicht zur Disposition gestellt werden soll. Kretschmann und Schmid machten deutlich, dass das Land keine Kostensteigerungen über die vereinbarte Obergrenze von 4,5 Milliarden Euro hinaus mittragen werde. Sollte der in der Schlichtung vereinbarte "Stresstest" ergeben, dass teuere Nachbesserungen an dem Projekt nötig sind, werde sich das Land daran nicht beteiligen, sagte Kretschmann. Dies gelte auch für eventuelle Mehrkosten im Lauf der Bauarbeiten. Von der Bahn forderten die Verhandlungsführer, den Baustopp am Stuttgarter Hauptbahnhof bis zur Volksabstimmung zu verlängern.
Kretschmann sagte, er sei sich bewusst, dass Stuttgart 21 "eine schwierige Frage bleiben wird in dieser Koalition". Man habe nun aber "einen Rahmen geschaffen, dass wir trotzdem unser Land gut regieren können." Kretschmann und Schmid sagten, vor der Volksabstimmung wollten beide Parteien bei den Bürgern um Stimmen für ihre Sicht werben. In SPD-Kreisen hieß es, auch Veranstaltungen mit der CDU oder FDP, die das Bahnhofsprojekt befürworten, seien nicht ausgeschlossen. Schmid sagte: "Wir wollen den gesellschaftlichen Konflikt um Stuttgart 21 endgültig beenden."