Großveranstaltungen in autoritären Staaten:Show der Autokraten

Sportliche Großveranstaltungen sind Mega-Partys der globalisierten Welt. Das macht sie attraktiv für Diktaturen und Despoten, die sich dort als nette Nachbarn präsentieren können. Doch darf die deutsche Nationalmannschaft in einem Stadion spielen, unweit dessen Julia Timoschenko Opfer politischer Rachejustiz ist?

Daniel Brössler

Wenn die deutsche Nationalmannschaft am 13. Juni im Metalist-Stadion der ukrainischen Stadt Charkow ihr zweites Spiel der Fußball-Europameisterschaft absolviert, erwartet sie dort eine klassische Konstellation. Nicht des Gegners Niederlande wegen, sondern wegen der Nähe zu jenem Gefängnis, in dem seit Monaten Julia Timoschenko sitzt; deshalb also, weil Sport auf Politik trifft und es albern wäre, das in Abrede zu stellen.

A mannequin decorated with Ukraine's national colors for the Euro 2012 soccer tournament is displayed in a show window in the Ukrainian Black Sea port of Odessa

Als die Fußball-Europameisterschaft an Polen und die Ukraine - hier eine Schaufensterdekoration in der Stadt Odessa am Schwarzen Meer - vergeben wurde, schien das Land noch auf gutem Weg zu einem Rechtsstaat zu sein.

(Foto: REUTERS)

Die Bundesregierung und verschiedene europäische Institutionen haben klargestellt, dass sie in der früheren Ministerpräsidentin eine politische Gefangene und ein Opfer manipulierter Justiz sehen. Der Fall wiegt wegen einer ernsten Erkrankung Timoschenkos und einem von ihr verkündeten Hungerstreik noch schwerer. Darf also ein paar Kilometer entfernt von Timoschenkos Zelle gekickt und gejubelt werden? Es ist eine Frage, auf die eine Antwort nur irgendwo in der Schnittmenge zwischen Moral und Machbarkeit zu finden sein wird.

Die Geschichte des Sportboykotts jedenfalls hält wenig Brauchbares an Präzedenzfällen bereit. Als wegen des Einmarschs der Sowjetunion in Afghanistan zahlreiche Länder unter Führung der USA 1980 den Olympischen Spielen in Moskau fernblieben, war das ebenso Teil des großen Systemkonflikts wie die Retourkutsche der Warschauer-Pakt-Staaten vier Jahre später in Los Angeles. Das konnte nicht anders sein, da die Spiele selbst immer auch dem - friedlichen - Wettkampf im Kalten Krieg dienten.

Im 21. Jahrhundert sind sportliche Großveranstaltungen kommerzielle Mega-Partys der globalisierten Welt. Das macht sie attraktiv für Diktaturen. Sie sehen eine Chance, sich auf der ganzen Erde so nett zu zeigen, wie sie gerne gesehen werden möchten. Das Gute daran: Es funktioniert nicht - oder zumindest immer schlechter.

Das veranschaulicht ein Beispiel abseits der Welt des Sports. Im aserbaidschanischen Baku findet im Mai der Gesangswettbewerb der Eurovision statt. Das korrupte Regime von Präsident Ilham Alijew hat eine neue Halle dafür errichten lassen und viel Geld in Organisation und Werbung gesteckt. Alijew glaubte, sein ressourcenreiches Land als fröhlichen Aufsteiger vermarkten zu können. Dabei hat er, typisch für Autokraten, die Möglichkeiten einer kreativen Opposition und die Arbeitsweise internationaler Medien verkannt. Der Song Contest beschert verfolgten Oppositionellen im kleinen Aserbaidschan ungekannte Aufmerksamkeit. Das wird das Land nicht in eine Demokratie verwandeln. Am Ende der Show aber wird auch keiner glauben, es sei eine.

Anreiz zur Rechtsstaatlichkeit

Funktionäre, sei es von Rundfunkanstalten oder von Sportverbänden, haben dieses Phänomen längst erkannt und begonnen, es zur eigenen Verteidigung vorzubringen. Demnach ist es nicht falsch, Musikwettbewerbe oder Sportwettkämpfe in einem Unrechtsstaat auszutragen, weil so doch ein Schlaglicht auf eben jenes Unrecht geworfen werde. Nordkorea müsste, wäre es so simpel, ein heißer Anwärter sein auf Olympische Spiele und Fußball-WM. So weit wird es nicht kommen, und doch gelten bei der Vergabe internationaler Wettbewerbe offenkundig nicht einmal Mindestansprüche.

Julia Timoschenko

Erkrankt und im Hungerstreik - und dennoch wird unweit gekickt und gejubelt.

(Foto: dpa/Archivfoto von 2011)

2014 soll in Weißrussland die Eishockey-Weltmeisterschaft ausgetragen werden. Eben erst sind im Reich des Eishockey-Freundes Alexander Lukaschenko zwei junge Leute hingerichtet worden, die angeblich einen Terroranschlag verübt hatten und in Wahrheit vermutlich nichts anderes sind als Opfer von Justizmord. Wer mit Lukaschenko Eishockey spielt, macht sich mitschuldig. Wenn es eine Grenze nach unten gibt, dann ist sie in Weißrussland erreicht.

Anders liegen die Dinge in der Ukraine. Als die Fußball-Europameisterschaft an Polen und seinen östlichen Nachbarn vergeben wurde, schien das Land noch auf gutem Weg zu einem Rechtsstaat zu sein. Und auch unter dem jetzigen Präsidenten Viktor Janukowitsch reklamiert es, Anwärter für eine Zukunft in enger Partnerschaft mit der Europäischen Union zu sein. Es läge dies nicht nur im Interesse der Ukraine, sondern auch der EU. Eine demokratische und prosperierende Ukraine ist der Traum ihrer westlichen Nachbarn, vor allem der Polen - eine chaotische und dem Westen gegenüber feindselige Ukraine hingegen ihr Albtraum.

In dieser Situation kann es eigentlich nur eine Doppelstrategie geben: Entlarvung und Anreiz. Die politische Rachejustiz, der Timoschenko und andere zum Opfer gefallen sind, muss entlarvt werden. Der Anreiz, zu Demokratie und Rechtsstaat zurückzukehren, aber muss erhalten bleiben. Für diesen Fall liegt ein Assoziationsabkommen mit der EU bereit zur Unterschrift.

Nötig dafür sind ständige Zeichen des Missfallens. Sie machen es der ukrainischen Führung unmöglich, vor der eigenen Bevölkerung so zu tun, als werde ihr Verhalten im Westen akzeptiert. Es ist deshalb gut, dass Bundespräsident Joachim Gauck ein mitteleuropäisches Präsidententreffen auf der Krim meidet. Auch sollten deutsche Politiker während der EM deutschen Spielen in der Ukraine fernbleiben. Das wäre ein starkes Signal: dafür, dass es möglich ist, in dem Land Fußball zu spielen und Janukowitsch doch die Schau zu vermasseln.

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