Deutsche Einheit:Bis an die Grenze

FILER OF GERMAN CHANCELLOR HELMUT KOHL AND FORMER US PRESIDENT GEORGE BUSH.

George H. W. Bush, 41. Präsident der USA, bei einem Treffen mit Helmut Kohl im Juli 1990 in London

(Foto: © Reuters Photographer / Reuter)
  • Historiker schenkten bei der Beantwortung der Frage, wie sich die Sowjetunion, Deutschland und die USA auf eine Integration auch Ostdeutschlands in die Nato einigten, dem amerikanischen Präsidenten vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit.
  • Bushs Haltung spielte, wie Dokumente inzwischen zeigen, eine entscheidende Rolle bei der Wiedervereinigung Deutschlands.

Von Stefan Kornelius

Pünktlich zum deutschen Vereinigungsgedenken schwärt eine Wunde im Staatengeflecht, die vor 25 Jahren geschlagen wurde. Es geht um Souveränität und Einmischung, um den Wettbewerb der Systeme. Das Duell zwischen Wladimir Putin und Barack Obama bei den Vereinten Nationen über den Eingriff in Syrien ist symptomatisch für diesen Konflikt.

Dieser Streit entzündet sich seit Jahren immer wieder aufs Neue zwischen Russland und dem Westen - sei es bei der Anerkennung Kosovos oder bei den Militärangriffen auf das Gaddafi-Lager im libyschen Bürgerkrieg. Zuletzt waren es die Ukraine, die Annexion der Krim und der verdeckte Krieg im Donbass, die dem alten Thema brennende Aktualität verschafften: Wie viel Einmischung verträgt ein Staat? Gibt es so etwas wie Einflusszonen, die Russland oder die USA für sich reklamieren dürfen? Ganz oben steht dabei für Russland die Sorge vor der Einkreisung durch die Nato. Die Erweiterung des Bündnisses wurde trotz aller gegenteiligen Schwüre als Bedrohung empfunden und führte zu zwei massiven Konflikten: 2008 in Georgien und seit 2014 in der Ukraine.

Drei Herren und ein Ereignis stehen am Beginn dieser Wiederholungskrisen: George H. W. Bush, Michail Gorbatschow und Helmut Kohl. Das Ereignis: Die sogenannte "Regelung der äußeren Verhältnisse der deutschen Einheit", also die Entscheidung über die Souveränität und Bündniszugehörigkeit Deutschlands. Am Ende haben die drei das Thema untereinander ausgemacht - ein historisch einmaliger Eingriff in die Staatenwelt, ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert wurde.

Was genau aber haben die drei verabredet, als sie die damalige Weltordnung nach 45 Jahren beerdigten? Historiker schenkten bei der Beantwortung dieser Frage dem amerikanischen Präsidenten vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. George Bush trug aber - wie Dokumente inzwischen zeigen - entscheidenden Anteil an der Entscheidung. Es waren Bush und sein Sicherheitsberater Brent Scowcroft, die Ende Februar 1990 Wochen der Irritation beendeten und klarmachten: Alles andere als eine vollständige Mitgliedschaft des vereinten Deutschlands in der Nato würde nur für noch mehr Instabilität sorgen.

Verwirrende Signale, mündliche Beteuerungen

Bushs grundsätzliche Haltung stand schon vergleichsweise früh fest - zu einem Zeitpunkt, an dem noch niemand über die Einheit nachdachte. Am 18. September 1989, also schon vor dem Mauerfall, machte er klar, dass er die deutsche Einheit nicht ablehnte. In einer Erklärung, verlesen im bergigen Montana, sagte er: "Ich meine, es ist Sache der Deutschen zu entscheiden. (. . .) In einigen Kreisen herrscht so eine Neigung, nun ja, dass ein wiedervereinigtes Deutschland dem Frieden in Europa in irgendeiner Weise abträglich wäre; aber ich lasse das nicht gelten, nein."

Diese Kreise gab es zuhauf, auch in Bushs Umgebung. Neben der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und dem französischen Präsidenten François Mitterrand war es Bushs Außenminister und Vertrauter James Baker, der mit Sorge auf eine Vereinigung schaute.

Von Februar 1990 an gab es verwirrende Signale, mündliche Beteuerungen und einen umfangreichen Briefwechsel über die Bündnisfrage. Auf der Ebene der Außenminister waren es Baker, der Deutsche Hans-Dietrich Genscher und der Brite Douglas Hurd, die an Moskau gerichtet die Absicht beteuerten, Deutschland nicht vollständig in die Nato aufnehmen zu wollen. Baker setzte die Idee in die Welt, lediglich den Osten Deutschlands von der Beistandspflicht der Nato auszunehmen.

Dem Weißen Haus kam diese Position weltfremd vor. Es unterlief die Linie Bakers mit einem Brief Bushs an Kohl, ausgeliefert am 11. Februar. Darin ließ Bush offen, wie seine Position zur Nato-Mitgliedschaft war. Kohl, der kurz vor entscheidenden Gesprächen mit Gorbatschow stand, muss den Widerspruch in der US-Politik erkannt haben. Er entschied sich zu diesem Zeitpunkt für die sanfte, für Bakers Botschaft und sprach gegenüber Gorbatschow davon, dass Deutschland nicht vollständig in der Nato aufgehen würde.

Der Widerspruch löste sich am 24. und 25. Februar während eines Treffens von Kohl und Bush in Camp David auf. In den wenigen Wochen seit den mündlichen Zusagen an Gorbatschow waren die Zweifel an der Praktikabilität der Nato-Lösung gewachsen. Auch in der Bundesregierung befand sich Genscher in der Defensive, Kohl hatte ihn nicht mal mitgenommen zum entscheidenden Treffen auf der Präsidenten-Ranch. Dort verständigten sich Kohl und Bush, dass die alte Position nicht zu halten war. Kohl gab, pragmatisch wie immer, zu Protokoll, dass es sich "am Ende auf eine Frage des Geldes reduzieren" werde. Bush erinnerte Kohl daran, dass die Deutschen ja prall gefüllte Taschen hätten.

Vollständig und ohne Bedingungen Mitglied der Nato

Bush machte seine Position dann endgültig Mitte April 1990 in einem Telegramm an den französischen Präsidenten klar. Auch das vereinigte Deutschland müsse vollständig und ohne Bedingungen Mitglied der Nato sein und unter Schutz der Beistandsklausel stehen, schrieb er.

Die Historikerin Mary Elise Sarotte, die in den Archiven die Dokumente gefunden hat, ist deutlich in ihrem Urteil: "Bush hat Mitterrand klargemacht, dass sich die (Verhandlungsstaaten) auf ein Minimum beschränken sollten - die Abschaffung der Rechte der Besatzungsmächte -, und dass die Nato die dominierende Sicherheitsorganisation in Europa sein würde."

Eindeutig ist Sarotte aber auch in diesem Urteil: Noch Anfang Februar versicherten Kohl, Genscher und Baker dem sowjetischen Staatschef mündlich, dass Deutschland nicht komplett Teil der Nato würde. Diese Botschaft war eine Grundlage für Gorbatschows prinzipielle Einwilligung, den Vereinigungsprozess zu starten. Kurz darauf begannen die Vorbereitungen für die Wirtschafts- und Währungsunion.

Schriftlich fixiert wurden diese Zusagen an Russland nie, in den 2+4-Verhandlungen, die sich noch bis Herbst hinzogen, tauchten sie nie mehr auf. Dass auch weitere Staaten im Osten der Nato beitreten könnten, war da noch gar kein Thema. Zwar hatten sich einige Schnelldenker bereits im Frühjahr 1990 Gedanken darüber gemacht. Der Warschauer Pakt aber bestand da noch, bis 1991.

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