Großmachtpolitik:Das Ende der Höflichkeiten zwischen USA und Russland

Russian Foreign Minister Lavrov and US State Secretary Kerry meet

Ihr Start war rau: US-Außenminister John Kerry (links) und sein russischer Kollege Sergej Lawrow bei einem ihrer vielen Treffen in Wien.

(Foto: Valery Sharifulin/dpa)

Die Außenminister der beiden Supermächte fanden einst immer einen Draht zueinander. Der scheint in der Syrien-Frage endgültig durchgeglüht zu sein.

Von Stefan Braun, Julian Hans und Paul-Anton Krüger

Dass dieser Tag schlecht enden würde, deutete sich schon an seinem Anfang an. Eigentlich wollte Sergej Lawrow gar nicht mehr kommen. Wieder sollte das Treffen der Internationalen Syrien-Unterstützergruppe im Palace Hotel in New York stattfinden, wo John Kerry logierte und die US-Delegation. Und darauf hatte Lawrow keine Lust mehr. Auf Augenhöhe verhandeln, auf neutralem Boden - das wollte der russische Außenminister. Und das hatte er John Kerry auch gesagt am Rande des UN-Sicherheitsrates. Alles war organisiert, spontanes Umplanen nicht möglich. Also mussten andere Delegationen bei Lawrow betteln. Und sie mussten warten.

Boris Johnson, der Brite, tat das in einer kleinen Bar des Hotels. Frank-Walter Steinmeier trank, als er es im großen Saal nicht mehr aushielt, mit seinen Leuten Kaffee in der Lobby. Und Kerry harrte dort aus, wo er längst mit Lawrow sitzen wollte: in einem kleinen Nebenzimmer, für finale Absprachen. Derart ätzend sei der US-Außenminister noch nie sitzen gelassen worden, sagte einer seiner Sicherheitsleute.

Es scheint nicht viel übrig zu sein von einer unkonventionellen Arbeitsbeziehung zweier Männer, die sich schon mit "mein Freund Sergej" und "mein lieber John" angesprochen haben. Sie waren nie Freunde, aber sie haben neben dem professionellen Umgang miteinander eine persönliche Ebene gefunden, die manches möglich erscheinen ließ - gar einen Syrien-Plan in letzter Minute. Trotz der Spannungen zwischen Washington und Moskau. Trotz des eisigen Verhältnisses zwischen ihren Präsidenten.

Der Start war rau; Kerry ist zwei Wochen im Amt, als Nordkorea Raketen testet

Barack Obama und Wladimir Putin gehen sich aus dem Weg, aus ihren versteinerten Gesichtern spricht die gegenseitige Abneigung. Ganz anders Kerry und Lawrow; sie gingen spazieren, manchmal Stunden, um Dinge unter vier Augen zu klären. Kerry gestikulierend, sein Kollege die Hände tief in den Taschen oder auf dem Rücken. Man klopfte sich auf die Schulter, schlug lachend ein vor Fotografen, zog sich im Hotel spätabends zum Dinner zurück, mal zu zweit, mal mit den engsten Beratern. Ihre Chefs überließen ihnen das Geschäft - in den von ihnen vorgegebenen Grenzen.

John Kerry im UN-Sicherheitsrat

"Ich haben meinen Kollegen aus Russland gehört, und ich habe ein bisschen das Gefühl, dass er sich in einer Art Paralleluniversum befindet."

Der Start war rau; Kerry ist zwei Wochen im Amt, als Nordkorea Raketen testet. Er will Lawrow sprechen. Auf den Rückruf wartet er: sechs Tage. Doch im folgenden halben Jahr treffen sie sich die beiden ein halbes Dutzend Mal. Kerry, heute 72, Diplomatensohn, weltgewandt, spricht fünf Sprachen, findet in seinem Gegenüber, 66, etwas, das es eigentlich nicht geben konnte: den sowjetischen Mann von Welt. Während die wenigsten Sowjetbürger überhaupt reisen konnten und es sich heute nur wenige Russen leisten können, ist Lawrow nicht nur überall auf der Welt zu Hause, er kennt sich auch aus mit Whisky und Zigarre. Beide schätzen das gute Leben, Kerry aber eher einen guten Rotwein oder ein Bier. Beide gehören einer Generation an, haben ihre prägenden Jahre im Kalten Krieg erlebt; Kerry zu guten Teilen in Europa.

Von seinen 66 Jahren hat Lawrow 44 Jahre im diplomatischen Dienst verbracht - sein Gedächtnis lässt ihn nie im Stich, wenn er einen Präzedenzfall braucht, um seine Argumente zu stützen. Für Kerry war Lawrow schon immer da. Für Lawrow ist Kerry der vierte Chef des State Departments, mit dem er zu tun hat. Als er in Moskau ins Außenministerium eintrat, regierte im Kreml Leonid Breschnew. Als er 1981 zu den UN nach New York versetzt wird, vertritt er eine Supermacht im Niedergang. Kerry ist da noch ein Provinzpolitiker in Massachusetts. Nach dem Einmarsch in Afghanistan ist das Klima eisig, der Feldzug wird ein Desaster. Der ständige Sitz im Sicherheitsrat mit Vetorecht ist eines von zwei Instrumenten einer Supermacht, die Russland von der Sowjetunion erbt. Und Lawrow ist derjenige, der besser als jeder andere mit diesem Instrument umzugehen weiß. (Das zweite sind die Atomwaffen.)

Obamas rote Linie ist überschritten

Kerry wird im Senat später zum Außenpolitiker, aber das ist nicht das Gleiche. Er leitete den Auswärtigen Ausschuss, bevor Obama ihn ins Kabinett berief. Im State Department fürchten sie seine Spontanität, seine unbedachten Bemerkungen. Am 9. September 2013 ist Kerry in London, will für einen Militärschlag gegen das Regime in Damaskus werben. Assads Armee hat Hunderte Menschen mit Chemiewaffen getötet, Obamas rote Linie ist überschritten. Da wird Kerry gefragt, ob der Angriff noch abzuwenden sei. Dafür müsste Syrien alle Chemiewaffen abgeben, antwortet er. Es ist eher ein rhetorischer Einwurf, wie seine Sprecherin später klarstellt. Keiner glaubt ernsthaft daran, dass das passieren könnte.

In Moskau aber lässt Lawrow eilig die Medien herbeirufen. Der Außenminister stürmt in den Saal, er spricht genau eine Minute, 40 Sekunden: Wir greifen Kerrys Vorschlag auf. Wenn der Militärschlag sich so abwenden lässt. Syriens Außenminister ist zu Gast und signalisiert Zustimmung.

Lawrow hat die Initiative an sich gerissen. Assad ist gerettet, Obama erleichtert - und Kerry fortan der Überzeugung, dass er mit dem als Mister Njet verschrienen Russen das große Rad drehen kann. Er wird zum rührigsten, risikofreudigsten US-Außenminister der letzten Jahrzehnte. Keiner seiner Vorgänger - ganz sicher nicht Hillary Clinton - hat so unermüdlich versucht, praktisch unlösbare Konflikte zu lösen.

Die beiden Spitzendiplomaten der Weltmächte finden keine gemeinsame Sprache mehr

Manchmal scheitert er, wie bei seiner mit großem Pomp begonnenen Mission, endlich Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln. Manchmal gelingt ihm ein "Triumph der Diplomatie", wie er das von ihm ausgehandelte Atomabkommen mit Iran sieht. Er rechnet es Lawrow hoch an, dass die Russen eine konstruktive Rolle spielen, die Gespräche nicht über andere Streitpunkte wie den Krieg in der Ukraine oder Syrien platzen lassen. In Wien, wo nächtelang um das Abkommen gerungen wird, rettet der Russe mit seinem sarkastischen Humor die Stimmung: Als Mohammad Dschawad Sarif empört aufspringt und brüllt: "Drohe nie einem Iraner!", lehnt sich Lawrow im Sessel zurück und sagt nach einem Moment der betretenen Stille nur trocken: "Und nie einem Russen!" Die Runde lacht, es geht weiter.

Doch Humor, an dem es Kerry nicht mangelt, hilft nicht mehr weiter. Die beiden Minister haben sich beharkt in Pressekonferenzen, aber da wusste jeder, das ist für das Publikum zu Hause. Jetzt finden sie keine gemeinsame Sprache mehr. Eine "offene Feldschlacht'' hätten sie sich geliefert im Palace Hotel, sagt einer, der dabei war. Vorher hatte Kerry Lawrow im UN-Sicherheitsrat schon vorgeworfen, er lebe "in einer Art Paralleluniversum".

Kerry soll anfangs zu den Kabinettsmitgliedern gehört haben, die Schläge gegen Syriens Luftwaffe forderten - was Obama ablehnte. Spätestens nach dem Chemiewaffen-Deal aber wussten die Russen, dass die USA nicht direkt in Syrien eingreifen würden. Kerry hat anders als Lawrow keine wirklichen Druckmittel. Er kann nur versuchen zu überzeugen. Putin vor einem zweiten Afghanistan warnen. Gut möglich, dass er es noch einmal probiert. "Was Syrien angeht, ist er fast manisch", wie es ein hoher Diplomat formuliert. Bis Ende des Jahres bleibt ihm noch, dann ist seine Amtszeit vorbei. Sergej Lawrow wird sich dann mit seinem Nachfolger auseinandersetzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: