Große Koalition:Warum die SPD den Finanzminister stellen muss

SPD-Bundesparteitag

Verstecken gilt nicht: Die SPD muss sich auf die große Bühne trauen, wenn sie in der Koalition nicht ins Hintertreffen geraten will.

(Foto: dpa)

Da es ernst wird, verzagt das Genossenherz: Die Parteistrategen präsentieren löchrig gehäkelte Ausreden, warum es besser sei, das wichtigste und einflussreichste Ressort der neuen Regierung nicht zu übernehmen. Sie sorgen sich darum, dass ein sozialdemokratischer Finanzminister harte Entscheidungen zu fällen hätte. Ojemine!

Ein Kommentar von Guido Bohsem, Berlin

Früher gab es in öffentlichen Freibädern häufiger Zehn-Meter-Türme. Die meiste Zeit waren sie gesperrt. Weshalb man am Beckenrand immer trefflich sagen konnte: "Wenn das Ding nur offen wäre, ich würde springen." Dumm nur, wenn der Bademeister den Sprungturm freigab. Dann musste man springen, wollte man nicht als Angsthase oder Großmaul dastehen. Ausreden zählten nicht.

Schaut man sich die Koalitionsverhandlungen an, wird man den Verdacht nicht los, dass sich Sigmar Gabriel und seine SPD gerade rausreden wollen. Nicht aus der Regierung, aber aus der Verantwortung. Monatelang haben die Sozialdemokraten wortreich erklärt, wie sie das Land gerechter, sozialer, ökologischer, familienfreundlicher, in jedem Fall also besser machen wollen. Doch jetzt, da es ernst wird, verzagt das kleine Genossenherz.

Der Zehn-Meter-Turm der SPD heißt Finanzministerium. Seit Wochen präsentieren die Parteistrategen löchrig gehäkelte Ausreden, warum es besser sei, das wichtigste und einflussreichste Ressort der neuen Regierung nicht zu nehmen: Man sorgt sich darum, dass ein sozialdemokratischer Finanzminister harte Entscheidungen zu fällen hätte. Vielleicht müsste er sogar einem mitregierenden Genossen etwas abschlagen. Ojemine! Vielleicht hätte er sogar ein neues Hilfspaket für Griechenland durchzupauken. Nein! Gott behüte, dass ein SPD-Mann oder eine SPD-Frau in so eine böse, böse Lage kommen könnte!

Das alles ist, mit Verlaub gesagt, bullshit. Man darf dieses Wort getrost verwenden, weil es der ehemalige Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeführt hat. Wenn die SPD in dieser Koalition auf Augenhöhe regieren will, muss sie nach dem Finanzministerium greifen. Nimmt Sie es nicht, wird sie vier Jahre dumm in die Röhre gucken.

Es gibt drei schlagende Gründe. Nummer eins heißt Europa. Der Finanzminister und die Kanzlerin führen die Verhandlungen in der längst noch nicht ausgestandenen Krise. Wenn kein Sozialdemokrat dabei ist, müssen sich die Genossen mit den Informationen begnügen, die Merkel ihnen gewährt. Grund zwei sind die Bund-Länder-Finanzbeziehungen, die in dieser Legislaturperiode eine zentrale Rolle spielen werden. Ohne einen SPD-Finanzminister wird die Partei auch hier ins Hintertreffen geraten. Grund drei ist die Macht über den Haushalt. Wer Politik gerechter machen will, muss das Sagen über das Geld haben. Sonst setzen die anderen die (im SPD-Sinne) falschen Prioritäten.

Als ein Argument gegen den Posten gilt auch das fehlende Personal. Diese Ausrede ist die schlimmste von allen. Wer sie präsentiert, müsste eigentlich aus der Partei geschmissen werden. Denn er sagt nichts anderes, als dass die stolze Sozialdemokratie keinen Kandidaten für diesen Posten hat. Gabriel selbst muss gar nicht Finanzminister werden. Es kann auch ein anderer vom Turm springen. Leute, die sich sogar Kanzler zugetraut haben, hat die SPD schließlich genug.

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