Große Koalition:Warum die SPD die große Koalition nicht fürchten muss

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Martin Schulz und Angela Merkel könnten bald erneut in einer großen Koalition zusammenarbeiten. (Foto: picture alliance / Olivier Hosle)

Viele Sozis haben Angst vor einem neuen schwarz-roten Bündnis. Dabei könnten sie ganz beruhigt sein: Merkels Mühle mahlt nicht mehr.

Kommentar von Heribert Prantl

Bei Dante, in seiner "Göttlichen Komödie", steht über dem Tor zur Hölle die Aufschrift: "Lasst, die ihr hier eintretet, alle Hoffnung fahren." Gut acht Wochen lang hat nun die SPD unter ihrem Vorsitzenden Martin Schulz so getan, als verhalte es sich mit einer großen Koalition genauso. Acht Wochen lang hat die SPD so getan, als sei der Hauptgrund für ihre Wahlniederlage die große Koalition gewesen. Aber die SPD litt weniger an der Koalition und an Angela Merkel als an sich selbst und an einem mit hundert Prozent gewählten SPD-Vorsitzenden, dem nichts, ganz und gar nichts hundertprozentig gelang.

Besser als der gesamte Wahlkampf gelang dem Parteichef Martin Schulz eine Aktion am Abend der Bundestagswahl: Schulz hat unmittelbar nach der katastrophalen Wahlniederlage der SPD das Tor zu einer erneuten großen Koalition unter dem Jubel und Beifall der Genossen zugeschlagen und zugesperrt. Das war damals richtig. Schulz hat es aber dabei nicht belassen. Er hat die versperrte Tür dann mit vielen Interviews auch noch zugenagelt. Das war unnötig, also falsch.

Schulz hatte viel Freude am Lärm, den er mit der Nagelei verursachte; er hielt das schon für einen Teil der Erneuerung der Partei. Er hatte Lust auf Tatkraft und Entschlossenheit, die er damit demonstrierte. Der Parteibasis hat das imponiert; den frischgewählten SPD-Abgeordneten auch. Weniger gefallen hat den frischgewählten SPD-Abgeordneten nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche die Ankündigung des SPD-Chefs, Neuwahlen anzupeilen - weil ja dann der eben erst erkämpfte Parlamentssitz wieder wackeln könnte. Also doch Gespräche mit der Union, also doch große Koalition?

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Schafft Schulz es, glaubwürdig zu bleiben?

Wenn Schulz nun die Beißzange holt, um die Nägel aus der Tür wieder herauszuziehen: Ist das dann auch wieder ein Zeichen für Tatkraft und Entschlossenheit? Es wird sehr schwer für Schulz, den Wechsel der Werkzeuge zu erklären und dann in Gespräche mit der Union einzutreten. Bei jedem Nagel, den er herauszieht, wird er seinen Genossen begründen müssen, warum er das tut. Er wird bei jedem gezogenen Nagel ein Projekt benennen müssen, das die SPD in einer neuen Regierung durchsetzen will. Und er wird der Partei versprechen, dass er einen eventuellen Koalitionsvertrag der Partei zur Abstimmung vorlegen wird. Das hat er soeben schon getan.

Ob ihm das alles glaubwürdig gelingt? Es wäre ein Meisterstück; Schulz wäre der Meister des Hammers und der Beißzange. Sehr wahrscheinlich ist eine solche Meisterschaft nicht. Die SPD braucht einen Chef, der zupackend, wahrhaftig und animierend Koalitionsgespräche führen kann - und dabei die Hoffnung nährt, dass eine solche Regierung die Partei nicht schwächt, sondern stärkt.

Es gibt keine Regierung, gegen die die SPD Opposition machen könnte

Gewiss: Der probate Ort, an dem eine ermattete und geschlagene Partei wieder zu Kräften kommen kann, ist die Opposition - durch Auseinandersetzung mit der Regierung. Die ursprüngliche Ankündigung der SPD, in die Opposition zu gehen, war daher richtig. Die Rekreation dort setzt aber voraus, dass es eine Regierung gibt, mit der man sich duellieren kann. Seitdem die Sondierungsverhandlungen für eine Jamaika-Koalition gescheitert sind, haben sich die politischen Grundkonstellationen geändert. Es gibt keine Regierung, gegen welche die SPD Opposition machen könnte - und es wird keine solche Regierung geben.

Eine Minderheitsregierung der Union ist in angespannter europa- und weltpolitischer Lage nicht wünschenswert; Merkel versucht denn auch, sie um alles in der Welt zu vermeiden. Für die SPD wäre eine solche Minderheitsregierung im Übrigen noch unbequemer als für Merkel; die SPD würde jede Woche, jedenfalls in der Europa- und Außenpolitik, von der Merkel-Union vorgeführt und an ihre staatspolitische Verantwortung erinnert werden. Und eine Neuwahl? Sie birgt zumal für die SPD riesige Risiken.

Also: große Koalition. Sie ist nicht der Himmel und nicht die Hölle der Demokratie; sie gehört zu ihrem Leben, zu ihrem Dasein, zu ihrem Auf und Ab; sie ist eine ihrer Existenzformen. Sie birgt Gefahren, ist aber nicht per se eine Gefahr. Es gibt Leute, die halten die große Koalition für den dümmsten gemeinsamen Nenner der Demokratie; das ist falsch. Es gibt auch Leute, die halten sie für den klügsten gemeinsamen Nenner; das ist noch falscher.

Die Dosis macht das Gift

Große Mehrheiten sind keine Garantie für große Taten: Die wichtigsten (es sind nicht alle auch die richtigsten) Weichenstellungen der Bundesrepublik sind denn auch von kleinen, nicht von großen Koalitionen bewerkstelligt worden: Westbindung, Wiederbewaffnung, Ostpolitik, Wiedervereinigung, Euro, EU-Erweiterung, Auslandseinsätze der Bundeswehr, Agenda 2010. Die Zeiten, in denen die Bundesrepublik von großen Koalitionen regiert wurde - die waren bisher immer CDU-geführt - waren nicht die schlechtesten Zeiten der Republik. Aber es gilt der Satz, den Paracelsus für die Medizin formuliert hat: Die Dosis macht das Gift.

Die SPD hat die Erfahrung gemacht, dass eine Dosis, die der CDU noch guttut, ihr schon schadet; jedenfalls hält die SPD das für eine Erkenntnis aus den beiden bisherigen Koalitionen mit Merkel. Die Zahlen geben ihr recht: Zu Beginn des großen Merkel-Kabinetts I stand die SPD fast gleichauf mit der Union. Am Ende des großen Merkel-Kabinetts III ist die SPD nur noch ein Schatten ihrer selbst. Viele Sozialdemokraten haben Angst, dass am Ende eines großen Merkel-Kabinetts IV selbst dieser Schatten verblasst sein könnte.

Viele Sozis fürchten, dass eine neuerliche große Koalition für sie eine "Agenda Selbstmord" sein könnte. In dieser Befürchtung steckt ungeheuer viel Kleinmut. Warum? Die Regierung Merkel IV ist eine Übergangsregierung - so wie die erste Große Koalition von 1966/69 unter CDU-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger eine Übergangsregierung war; es folgte die Regierung Willy Brandt. Das Kabinett Merkel IV wird die letzte Regierung der Angela Merkel sein. Ihre Zeit geht zu Ende, ihre Kraft auch. Der CDU stehen die Nachfolgeränke ins Haus, wie sie die CSU jetzt schon schütteln. Die Zeit, in der es Merkels Koalitionspartnern so erging wie Max und Moritz im siebten Streich ("Rickeracke! Rickeracke! Geht die Mühle mit Geknacke!) ist vorbei. Merkels Mühle mahlt nicht mehr.

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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