Große Koalition:Von Rücktritten und Rausschmissen

Angela Merkel und Thomas de  Maizière

Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Innenminister Thomas de Maizière.

(Foto: Reuters)

Kaum im Amt, scheint die große Koalition führungslos zu sein und vor sich hin zu erodieren. Ein Minister und ein Staatssekretär werden gefeuert. Jedes Kabinettsmitglied arbeitet auf eigene Rechnung und will sich profilieren. Und irgendwo sitzt Merkel und weiß von nichts.

Ein Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Vergangene Woche ein Minister, jetzt ein Staatssekretär, zwischendurch fast ein Fraktionsvorsitzender: Seit 65 Tagen erst ist die große Koalition im Amt. Und schon sind erste wichtige Köpfe verschwunden, mit denen sie angetreten ist.

  • Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich musste gehen, weil er als Innenminister der SPD brühwarm Dienstgeheimnisse über den Fall Edathy zuschob.
  • SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann wäre fast darüber gestolpert, dass er als Fraktionsgeschäftsführer aus falsch verstandener Fürsorgepflicht mal eben versuchte, den Chef des Bundeskriminalamtes über den Fall Edathy auszuhorchen - eine klassische Kompetenzüberschreitung.

Wer noch das ein oder andere kleine Skandälchen hinzurechnet - nehmen wir nur die teure und zweifelhaft finanzierte Werbekampagne der Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) für das Rentenpaket -, der mag womöglich nicht so recht "nur" an einen verkorksten Start glauben. Der kann den Eindruck gewinnen, die große Koalition hat ein wesentlich erheblicheres, ein strukturelles Problem. Mit anderen Worten: Der Fisch stinkt vom Kopf.

Noch deutlicher als unter Schwarz-Gelb offenbart sich eine erschreckende Führungslosigkeit. Es geht schon jetzt nicht mehr um den Erfolg der großen Koalition. Es geht um Profilierung der eigenen Person, im besten Fall der eigenen Partei.

Der CSU-Politiker Friedrich machte sich mit seinem Wink an die SPD vor allem wichtig. Oppermann mit seinem Anruf auch. Er ruft BKA-Chef Ziercke an, einfach weil er es kann. Von der Leyen scheint als erste Frau in dem Amt beweisen zu wollen, wie hart sie durchgreifen kann. Für nichts anderes dürfte sie Beemelmans bis dato im Amt belassen haben.

Es scheint, die Regierung erodiert, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat zu arbeiten.

Angela Merkel führt nicht

Und Merkel? Die Kanzlerin tut so, als wisse sie immer von: nichts. Nichts soll ihre weiße Weste beflecken, die ihre Wähler so an ihr schätzen. Sie mischt sich wahrnehmbar erst ein, wenn gar nichts mehr geht. Dann feuert sie halt wie im Fall Friedrich einen Minister, steckt kurz den Kopf heraus und erklärt dessen Rücktritt für "absolut richtig und notwendig". Erstaunlich nur, dass diese Einschätzung öffentlich niemand in der Unionsfraktion danach wiederholen will. Es scheint fast, als hätte sie das gar nicht gesagt.

Jeder macht in der großen Koalition, was er will. Das ist auch eine Folge der übergroßen Mehrheit dieser großen Koalition. Wer für alles eine faktisch garantierte Zustimmung im Parlament hat, der muss niemandem mehr etwas erklären. Für einen Ministerrücktritt reichen ein paar dürre Worte im Rahmen eines Pressestatements mit dem Schweizer Bundespräsidenten.

Eine Kanzlerin, die führen will, hätte klargemacht, dass nichts ohne ihr Wissen passiert. Dass also Friedrich schon allein deswegen gefeuert gehört, weil er sie nicht unterrichtet hat vom Fall Edathy. Sie war immerhin seine Chefin. Durchgesetzt aber hat sich offenbar die Haltung, dass nichts zu wissen immer viel bequemer ist.

Diese Koalition ist eine Notgemeinschaft. Und wohl allein dem Umstand geschuldet, dass niemand den Bürgern Neuwahlen zumuten wollte. Lieber Groko als die Leute noch mal an die Wahlurnen bitten - mit dem dann zu erwartenden Ergebnis, dass hinterher nichts Besseres dabei herauskommt.

In den Koalitionsverhandlungen hat sich vor allem die SPD mit ihren Projekten von Mindestlohn bis Rente mit 63 durchgesetzt. Über Unions- oder gar Kanzlerinnen-Projekte spricht niemand. Weil es sie kaum gibt. Es regiert - wenn überhaupt - die SPD. Unter freundlicher Mitwirkung der Kanzlerin.

Die SPD aber regiert nicht für das Land. Sie regiert allein auf einen Wahlsieg 2017 hin. Also auf die Befriedigung der Interessen ihrer Wähler - was 2013 gerade mal 18 Prozent aller Stimmberechtigten gewesen sind. Die CSU verhält sich nicht anders, poltert nur lauter. Statt mal ehrlich zu benennen, dass ihr Minister Friedrich Mist gebaut hat, loben sie ihn in der Partei jetzt über den grünen Klee.

Schwarz-Gelb hat vor allem die hohen Erwartungen an diese Wunschkoalition von Union und FDP enttäuscht. Die große Koalition aber ist gerade dabei, die schon geringen Erwartungen noch zu unterbieten.

Es wäre nett, wenn sich die Koalition langsam wenigstens an das Wenige machen würde, was sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen hat. Und wenn Merkel beginnen würde, ihren Job als Kanzlerin ernst zu nehmen. Es wäre mal eine ganz neue Herausforderung, sie daran zu messen, was sie macht - und nicht daran, wie sie abwartet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: