Große Koalition:Trio auf Kuschelkurs

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Sigmar Gabriel (SPD), Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) in der Bundespressekonferenz in Berlin (Foto: REUTERS)

Müde, aber zufrieden - so geben sich Merkel, Gabriel und Seehofer nach der langen Verhandlungsnacht. Der Koalitionsvertrag ist fertig, aller Streit scheint vergessen zu sein. Sogar die Pkw-Maut ist plötzlich Konsens. Nur der SPD-Mitgliederentscheid erzeugt schlechte Stimmung.

Von Thorsten Denkler, Berlin, und Michael König

Horst Seehofer entgleitet die Angelegenheit für einen Augenblick. Gerade hat der CSU-Vorsitzende den Koalitionsvertrag unterschrieben, nun posiert er im Bundestag neben Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Abschlussfoto am Mittwochmittag nach einer kurzen Nacht. 17 Stunden hatten CDU, CSU und die Sozialdemokraten noch einmal verhandelt, dann waren die 185 Seiten fertig. Die Augenringe der anwesenden Politiker sind nicht zu übersehen. Erst um halb sechs durften sie ins Bett.

Als sie jetzt Aufstellung für die Fotografen nehmen, fällt Seehofer der Koalitionsvertrag aus der Hand. Rutscht einfach aus dem schwarzen Einband, muss vom CSU-Chef notdürftig mit dem Daumen fixiert werden. Sieht jetzt ziemlich schräg aus, aber was soll's. Seehofer lacht darüber. Geschafft ist geschafft. So zäh die Verhandlungen, so gut die Laune. Daran lassen die drei Politiker in der anschließenden Pressekonferenz keinen Zweifel.

Gemeinsam betreten die drei nach der Unterzeichnung ihre Bühne, den Großen Saal der Bundespressekonferenz in Berlin. Jetzt gilt es, den Kompromiss zu erklären. Demonstrative Zufriedenheit allenthalben. Seehofer hat seine Pkw-Maut für Ausländer bekommen, "sie steht im Vertrag", betont er. Ob sie jemals Gesetz wird, daran gibt es aber erhebliche Zweifel. Denn im Vertrag steht, sie müsse konform mit EU-Recht sein und dürfe deutsche Autofahrer nicht belasten.

Merkel, die im Wahlkampf die Maut strikt abgelehnt hatte, nimmt die vage Formulierung als Rechtfertigung. Sie sagt: "Die Prinzipien waren für mich das Entscheidende, um mich dafür zu entscheiden." Gesetze würden erst später gemacht. Soll heißen: Schauen wir mal.

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Bodenständig, verlässlich, solide. Ein simples "Sie kennen mich" reichte Angela Merkel 2013 zur Wiederwahl. Ob es 2017 wieder reicht, wird sich zeigen. Ihr Werdegang in Bildern.

Und Gabriel? "Wenn das möglich ist, warum soll ich was dagegen haben? Ich bin da ganz gelassen", sagt er zur Maut. Das gefällt Seehofer: "Humor ohne Langfristwirkung" sei in den Verhandlungen das Schönste gewesen. Er hat mit Abstand die beste Laune an diesem Tag.

Merkel triumphiert nicht, sie strahlt souveräne Zufriedenheit aus. Die CDU hat die Mütterrente durchgesetzt. Die Vorratsdatenspeicherung kehrt zurück, die doppelte Staatsbürgerschaft kommt nur mit Abstrichen. In der Europapolitik bleibt alles beim Alten, bei der Homo-Ehe auch. Es soll keine Steuererhöhungen und keine neuen Schulden geben. Merkel spricht viel von Stabilität und Verlässlichkeit.

SPD-Chef Gabriel bringt das in Bedrängnis. Seine Partei war angetreten, einen Politikwechsel herbeizuführen. Nun muss er einen Kompromiss verkaufen. Er nimmt sich viel Zeit, die sozialen Wohltaten zu preisen, die im Vertrag stünden: Mindestlohn, abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, bessere Bezahlung von Pflegekräften ( einen Überblick über wichtige Punkte gibt es hier).

Seine Laune verdunkelt sich, als die erste Nachfragen zum Vorbehalt kommen, unter dem die ganze Veranstaltung steht. Stimmt die Mehrheit der etwa 470.000 SPD-Mitglieder mit Nein, ist die große Koalition hinüber. Und Gabriels Karriere wohl auch.

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Zu laut, zu unstet, zu sehr auf das eigene Fortkommen fixiert - das war lange das Image von Sigmar Gabriel. Doch dann konnte sich der SPD-Chef profilieren.

Wie tickt die Basis? Niemand weiß das genau, erste Eindrücke von Regionalkonferenzen weisen auf heftigen Widerstand hin. Gabriel argumentiert mit der Historie: Die SPD sei seit 150 Jahren dem Fortschritt verpflichtet, "und nicht dem Wohlbefinden." Weitere Fragen bügelt er ab. "Glauben Sie mir, ich kenne den Laden."

Der Mitgliederentscheid ist wohl auch der Grund, warum im Koalitionsvertrag noch keine Ministerien genannt wurden, geschweige denn Namen. Gabriel sagt, es habe den Wunsch gegeben, über Inhalte abzustimmen, nicht über Personalien. Das gelte es zu respektieren.

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Wer was werden kann. Wer was werden will. Wer Glück hat, wenn er bleiben darf, was er ist: Namen und wüste Spekulationen über das künftige Kabinett der großen Koalition in alphabetischer Reihenfolge.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Nach dem Trio ist die Opposition dran. Grünen-Chefin Simone Peter beklagt das "Klein-Klein" im Koalitionsvertrag. Auf allen wichtigen Feldern hätten Union und SPD versagt. Katja Kipping und Gregor Gysi konstatieren für die Linke, die SPD habe ihre Wahlversprechen verraten und "nicht geliefert".

Gabriel und die SPD-Spitze werden den Genossen das Gegenteil erklären, auf 32 Terminen in ganz Deutschland. Am 14. Dezember wird der Mitgliederentscheid ausgezählt. Für die Union heißt es bis dahin: warten. Ist das nicht frustrierend? "Och", sagt Merkel. "Warten kann ich. Ich sitze ruhig und mache meine Arbeit."

  • Die Koalitionäre Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel haben den Koalitionsvertrag unterzeichnet und sich in der Bundespressekonferenz den Fragen der Hauptstadt-Journalisten gestellt.
  • Merkel: Große Koalition, um "große Aufgaben für Deutschland zu meistern" +++ Maut als "Prinzip" festgelegt, nicht im Detail +++ Zum SPD-Mitgliederentscheid: "Warten kann ich."
  • Gabriel: Gespräche "faire Veranstaltung", "sehr gutes Verhandlungsergebnis" +++ Koalitionsvertrag für die "kleinen und fleißigen Leute" +++ Mindestlohn zentrale Vereinbarung
  • Seehofer: Pkw-Maut kommt +++ Gute Entscheidung, noch keine Minister festzulegen +++ "Ich wollte die große Koalition von Anfang an" +++ "massive Investitionen" in Infrastruktur und Bildung
  • Opposition meldet sich zu Wort: Grünen-Parteichefin Simone Peter kritisiert die SPD-Führung, auf den Kurs der Union eingeschwenkt zu sein. Die Linken Gregor Gysi und Katja Kipping präsentieren ein Plakat, auf dem sie die Sozialdemokraten unter der Überschrift "Nicht geliefert!" angreifen.
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