Süddeutsche Zeitung

Große Koalition:Freud und Leid in der Union

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Von Robert Roßmann, Berlin, und Wolfgang Wittl

Vermutlich hätten die CDU-Mitglieder schon am Dienstagmorgen alarmiert sein müssen. Es war der Auftakt zum Finale der Koalitionsverhandlungen. Angela Merkel kam ins Konrad-Adenauer-Haus, sagte vor der Tür noch ein paar Sätze, wie es bei solchen Gelegenheiten halt üblich ist. Aber anders als sonst beließ die CDU-Chefin es nicht bei unverbindlichen Allgemeinplätzen. Es müssten noch "schmerzhafte Kompromisse" gemacht werden, sagte Merkel. Und sie sei dazu bereit. 24 Stunden später wurde klar, dass es wirklich schmerzhaft wurde - und zwar vor allem für die CDU.

Noch am Wochenanfang hatten alle CDU-Politiker, mit denen man sprach, beteuert, nie und nimmer werde die SPD Auswärtiges Amt, Finanz- und Arbeitsministerium bekommen. Und jetzt sind die drei Ressorts doch bei den Sozialdemokraten gelandet. Einige in der CDU versuchten sich zwar noch in der Kunst des Schönredens. Es komme doch auf die Inhalte an, nicht auf die Ämter, hieß es. Oder: Der CDU sei es gelungen, zum ersten Mal seit 1966 wieder den Wirtschaftsminister zu stellen. Das stimmt zwar - aber den Wirtschaftsminister wollte keiner in der CDU, zumindest dann nicht, wenn man dafür das Finanzressort hergeben muss. Und so spricht sogar Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, der bisher nicht als Merkel-Kritiker aufgefallen ist, von einem "deutlich weinenden Auge" der CDU.

Die Kanzlerin ist in ihrer Partei ohnehin nicht mehr unumstritten. Aber sie galt auch bei ihren Kritikern immer noch als gute Verhandlerin. Nun scheint auch dieser Nimbus ein Ende zu haben. Auf Merkel kommen raue Zeiten zu, auch in der CDU.

Es ist zwar nicht das erste Mal, dass eine Partei die drei Schlüsselministerien allein besetzen darf. In Konrad Adenauers drittem Kabinett hatte die CDU den Zugriff auf das Trio, aber damals besaß die Union auch die absolute Mehrheit. In Merkels erster großen Koalition bekam die SPD die drei Häuser, aber damals lagen Union und SPD noch gleichauf, jetzt ist die Union 60 Prozent stärker als die Sozialdemokraten aus der Wahl hervorgegangen. Ganz offensichtlich hatten die Sozialdemokraten in der letzten Verhandlungsnacht die besseren Nerven. Das gilt - ebenfalls zum Leidwesen der CDU - auch für die CSU.

Die CSU-Unterhändler schwärmen von der Stimmung in der Partei

Den Bayern ist es nicht nur gelungen, die Zahl ihrer Ministerien zu halten, sie haben es auch noch geschafft, das Agrar- gegen ein aufgewertetes Innenministerium zu tauschen. In der CSU blickt man deshalb mit einer Mischung aus Zurückhaltung und Mitleid auf die größere Schwesterpartei. "Passt scho", sagte Horst Seehofer nur, als er den Koalitionsvertrag bewerten sollte. Das klingt vergleichsweise bescheiden, doch man muss wissen: "Passt scho" ist der bayerische Superlativ, der Gipfel der Zufriedenheit. "Extrem gut" sei die Stimmung, schwärmte einer der CSU-Unterhändler in Berlin, und in München war sie nicht anders. Seehofer als Innenminister - das hatten sich nur wenige in der Partei vorstellen können. Aber in der Kombination mit Heimat und Bau ergebe das Ressort Sinn, sagen jetzt viele.

Er könne nicht immer den Libero für die CSU geben, hat Seehofer einmal erklärt. Nun wird er sogar ein klassischer Ausputzer sein, zumindest hoffen sie das in der CSU-Landtagsfraktion mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst. Als Garant für innere Sicherheit und als Wächter über die Flüchtlingspolitik soll Seehofer die AfD von Berlin aus im Zaum halten. Den Wohnungsbau hat er selbst zur wichtigsten sozialen Frage erhoben. Und welche Kraft ein Heimatminister entfalten kann, hat Markus Söder in Bayern bewiesen. Die CSU habe nun die Chance, bei ihren Kernthemen bundesweit die Agenda zu bestimmen, heißt es in München. Oder "klare Kante" in der Innenpolitik zu zeigen, wie Söder sagt.

Einer, der den Wechsel als Superminister nach Berlin 2005 abgelehnt hatte, zeigte sich ebenfalls zufrieden. Seehofer übernehme ein "Schlüsselressort", sagte Edmund Stoiber: "Das wird der CSU auch einen Schub für die Landtagswahl geben." Stoiber hatte ja selbst für diese Aufteilung geworben: Seehofer mit seiner Durchschlagskraft in Berlin, Söder als Ministerpräsident in Bayern - der Mittwoch liefert für viele in der CSU den Beleg, dass die Partei nun tatsächlich optimal aufgestellt sei.

Nur vereinzelt ist Skepsis zu hören: Ob ein Nicht-Jurist wie Seehofer wirklich Verfassungsminister sein könne? Ob es für die CSU ein Risiko sei, bei Anschlägen in der Verantwortung zu stehen? Ob es klug war, der SPD das Außen- und das Finanzministerium und damit die Hoheit über die Europapolitik zu überlassen? Seehofers Leute haben keine Bedenken. Der Chef, selbst ernannter "Erfahrungsjurist", werde das schon richten. "Wir haben einen super Minister in einem Superministerium", sagt der stellvertretende Generalsekretär Markus Blume. Offen bleibt aber die Frage: Wann hört Seehofer als Ministerpräsident auf? An diesem Donnerstag will Seehofer die Parteigremien unterrichten - vielleicht weiß man dann ja mehr.

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SZ vom 08.02.2018
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