Große Koalition:"Es wird Ärger geben"

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Die SPD-Politiker Struck und Nahles erwarten Streit in der Großen Koalition, die Union kritisiert Becks Weigerung, ins Kabinett zu gehen.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles hat der Großen Koalition eine Phase der Auseinandersetzungen vorausgesagt. Nach dem Rückzug Franz Münteferings würden auch seine Nachfolger - Olaf Scholz als Arbeitsminister und Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Vizekanzler - "der Union nichts schenken", sagte sie am Mittwoch im RBB-Inforadio. "Es wird jetzt tatsächlich mit harten Bandagen gerungen", erklärte Nahles.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Andrea Nahles: "Wenn Zusagen nicht mehr eingehalten werden, ist die Schonfrist vorbei." (Foto: Foto: ddp)

Das Thema Mindestlohn werde keinesfalls von der Tagesordnung der Koalition verschwinden. "Die Union wird sich darauf einstellen müssen, dass wir hartleibig weiter für Mindestlöhne kämpfen."

Nahles äußerte sich in Interviews tief enttäuscht. "Ich bin stinksauer", sagte die Parteilinke im ARD-"Morgenmagazin". "Wenn Zusagen nicht mehr eingehalten werden, ist die Schonfrist vorbei." Kanzlerin Angela Merkel warf sie vor, sich nicht an klare Vereinbarungen gehalten zu haben, um Lobbyisten der Zeitungsbranche einen Gefallen zu tun.

Auch SPD-Fraktionschef Peter Struck betonte im Deutschlandfunk, seine Partei und die Nachfolger Münteferings würden die gleiche Linie beibehalten. Zum Mindestlohn gebe es massive ideologische Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern.

"Ich weiß genau, es wird immer wieder Ärger geben mit der Kanzlerin, mit der CDU/CSU-Fraktion. Aber wir werden in diesen Fragen nicht nachlassen, nicht nachgeben", sagte Struck.

Struck zog erneut die Verlässlichkeit von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Frage. Das Verhalten der CDU-Vorsitzenden bei den Verhandlungen über den gescheiterten Postmindestlohn macht mich "sehr skeptisch in Bezug auf die Verlässlichkeit gerade in diesen Fragen der Arbeitsmarktpolitik von Frau Merkel und der CDU/CSU".

Union glaubt nicht an härtere Diskussionen

Unions-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen sagte hingegen in der ARD, er erwarte nicht, dass das Thema Mindestlohn das zentrale Streitthema der Koalition in den nächsten zwei Jahren sein werde. Auch glaube er nicht, dass es im Regierungsbündnis ruppiger werde.

Denn dann würde die SPD das nicht beachten, wofür Müntefering am meisten eingetreten sei, "dass die SPD diese Große Koalition wollen und dass sie sich mit ihren Erfolgen auch identifizieren soll". In den entscheidenden Punkten sei die Koalition immer ergebnisfähig, sagte der CDU-Politiker.

Dies sieht die CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer anders: Sie sagte am Mittwoch in München, die weitere Zusammenarbeit zwischen Union und SPD werde "sicherlich nicht einfacher" werden.

Beim Koalitionsauschuss am Montagabend konnten Union und SPD sich nicht auf die Einführung eines Postmindestlohns einigen. Müntefering hatte sich vehement dafür eingesetzt, eine bestehende Tarifvereinbarung für die Briefdienste der Post AG für allgemeinverbindlich zu erklären.

Sie sieht Mindestlöhne bis zu 9,80 Euro vor. Dagegen hatten sich Post-Konkurrenten gewehrt. Die Union hatte angeboten, die Lohnuntergrenze bei acht Euro zu ziehen. Dies wies die SPD als nicht akzeptabel zurück.

Zugleich stimmte Nahles der Entscheidung von SPD-Chef Kurt Beck zu, nach Münteferings Rückzug nicht selbst ins Bundeskabinett zu wechseln. Er habe richtig gehandelt. Steinmeier und Scholz seien die Richtigen auf ihren Positionen. Gleichzeitig sei ein Generationswechsel erreicht und es gebe neue Akzente, aber eine Kontinuität der Politik.

Union und Grüne bewerten Becks Weigerung, ins Kabinett zu wechseln, negativ. Davon gehe das Signal aus, dass sich Beck "nicht in die Koalitionsdisziplin einbinden lassen möchte", sagte der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach am Mittwoch im WDR. Es sei zu befürchten, dass Beck nicht der Versuchung widerstehen könne, aus der Koalition heraus Opposition zu machen.

Das gehe natürlich nicht. "Man muss sich entscheiden, ob man regieren oder opponieren will", erklärte der CDU-Politiker. Die große Koalition verliere mit Müntefering "eine tragende Säule der Veranstaltung-" "Auf ihn konnte man sich verlassen."

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck wertet die Entscheidung des SPD-Chefs als Zeichen für dessen Misstrauen in die große Koalition. Dass der SPD-Chef die Ämter des zurückgetretenen Vizekanzlers und Arbeitsministers Franz Müntefering (SPD) nicht selbst übernommen habe, sei "ein deutlicher Hinweis darauf, dass Herr Beck dem Frieden in Berlin nicht traut", sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Berlin. Offenbar befürchte Beck ein Scheitern der Großen Koalition noch vor dem Wahltag.

Bürger glauben an Schwächung der SPD

Die Bundesbürger sehen die SPD mehrheitlich geschwächt durch Münteferings Rücktritt. 61 Prozent sind der Ansicht, ohne Müntefering als Arbeitsminister und Vizekanzler verliere die SPD an Einfluss in der Bundesregierung, wie eine am Mittwoch veröffentlichte Emnid-Umfrage für den Nachrichtensender N24 ergab.

In der vergangenen Woche hatte die Union in der Wählersympathie leichte Einbußen verzeichnet - ihren großen Vorsprung vor der SPD aber behauptet. In der wöchentlichen Politumfrage im Auftrag des Hamburger Magazins Stern sowie des Fernsehsenders RTL fielen CDU/CSU im Vergleich um einen Punkt auf 39 Prozent. Sie liegen damit 13 Punkte vor der SPD, die bei 26 Prozent verharrte, wie das Magazin mitteilte.

Die FDP stieg um zwei Punkte auf zehn Prozent. Die Linkspartei steigt um einen Punkt auf zwölf Prozent. Die Grünen fallen um zwei Punkte auf acht Prozent. Forsa hatte in der vergangenen Woche 2503 Bundesbürger befragt.

Beim Institut für Demoskopie Allensbach liegt die SPD in der Sonntagsfrage bei 28,6 Prozent (Vormonat: 27,1 Prozent), die CDU bei 38 (37,7), die FDP bei 11,0 (10,0), die Linke bei 10,1 (11,5) und die Grünen bei 9,2 (10,0). Die Befragung im Auftrag der Frankfurter Allgemeine Zeitung wurde zwischen dem 26. Oktober und 8. November durchgeführt.

© AFP/AP/dpa/ddp-bay/bavo/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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