Nichts fällt leichter, als die Regierung, so wie sie sich abzeichnet, zu kritisieren, egal wo man politisch steht. Und dennoch ist sie das Beste, was unter den gegebenen Umständen möglich war. Diese Umstände sehen so aus: Die Jamaika-Koalition ist an der FDP gescheitert, auch wenn man das in der FDP anders sieht. Eine Minderheitsregierung ist keine Option, weil Angela Merkel und die CDU dieses Experiment nicht eingehen würden. Neuwahlen schließlich wären falsch, denn Wahlen dürfen nicht nur deswegen wiederholt werden, weil sich Parteien nicht auf politisch durchaus mögliche Koalitionen einigen wollen.
Ja, bei diesen Koalitionsverhandlungen gab es keine Sieger - so wie es auch bei der Bundestagswahl keine eindeutigen Sieger gab. Vielleicht hat die CSU noch am besten abgeschnitten, sollte die Regierung zustande kommen. Ihr Parteichef Horst Seehofer, der nichts mehr zu verlieren hat, wäre der wichtigste Minister der Union und würde entscheidend dazu beitragen, wie es der Bundeskanzlerin in ihrer letzten Legislaturperiode ergeht.
Große Koalition:Freud und Leid in der Union
Bei der Postenverteilung kommt die CSU gut weg - sie stellt künftig sogar den Bundesinnenminister. Das geht vor allem auf Kosten der Schwesterpartei.
Ein Beispiel für Seehofers Taktik ist die Obergrenze für Zuwanderer, die jetzt als Korridor im Koalitionspapier steht: Die Formulierung nützt politisch seiner Partei (und der CDU), entspricht den Vorstellungen einer Mehrheit der Deutschen und stellt zugleich die Grenze dessen dar, was wichtige Teile der SPD (sicher nicht die Jusos) und vor allem ziemlich viele ihrer nicht mehr so vielen Wähler noch akzeptieren.
Erinnerungen an Kabinette von Schmidt und Kohl werden wach
Der Koalitionspartner SPD hat zunächst so viel falsch gemacht, wie man nur falsch machen konnte. Dies geschah unter dem mit 100 Prozent gewählten Parteivorsitzenden Schulz. Dafür hat die SPD in den kurzen Koalitionsverhandlungen viel erreicht. Äußerer Ausdruck dessen sind die bedeutenden Ministerien, aber auch die Zugeständnisse der Union - zum Beispiel bei der Einschränkung der befristeten Arbeitsverhältnisse. Dies hat auch mit der relativen Schwäche Merkels zu tun, die ihr ihre Partei in der absehbaren Zukunft nachtragen wird.
Martin Schulz ist das Symbol für den Schlingerkurs der SPD. Auch wenn die Schuld dafür nicht nur bei ihm liegt, sollte er die Konsequenz daraus ziehen. Er sollte nicht nur den Parteivorsitz abgeben, sondern auch nicht ins Kabinett eintreten.
Wenn eine Mehrheit der SPD-Mitglieder die Koalition nicht ablehnt, hat Angela Merkel ihr wichtigstes Ziel erreicht: Es wird eine (relativ) stabile Regierung geben. In dem Koalitionsvertrag finden sich viele Dinge, mit denen sich die sogenannte bürgerliche Mitte anfreunden kann. Man mag das uninspiriert nennen, aber es ist besser, als zum Beispiel einen jungen inspirierten Regierungschef zu haben, der mit einer rechtsradikalen Partei koaliert wie in Österreich. Einer linken Regierung des Aufbruchs fehlt in Deutschland auf absehbare Zeit die Mehrheit.
Man kann darüber streiten, wie viel Sozialdemokratie in dem Koalitionsvertrag steckt. Die Union hat schon länger vieles aufgegeben, was vor 15 Jahren noch als Markenkern der Konservativen galt. Daran ist Merkel nur insoweit schuld als dass sie eine Pragmatikerin ist. Atomkraftwerke oder die Wehrpflicht waren für sie nie zentrale Themen des Konservatismus. Sie sind es auch nicht mehr, trotz der AfD. Diese mittelfristige Veränderung spiegelt sich auch im Koalitionspapier wider.
Das vierte Kabinett Merkel, kommt es denn zustande, wird in manchem den letzten Kabinetten von Helmut Schmidt und auch von Helmut Kohl ähneln. Merkel wird regieren, und sie wird mit von der Leyen, Scholz und Seehofer, wenn es gut geht, anständig verwalten. Diese Regierung steht aber unter der Überschrift "dauert nicht mehr lang". Das bezieht sich auf die Person der Bundeskanzlerin, aber auch darauf, dass es in weiten Teilen des Landes das Gefühl gibt, es dürfe "so" nicht weitergehen. Aber Merkel ist nun genau die Art von Chefin und Kanzlerin, die lange Zeit so populär war, weil man wusste, was man an ihr hatte, weil es immer so weiterging. Sie wird sich nicht mehr ändern.
Außenpolitisch ist das Beharrungsvermögen, die Berechenbarkeit gut. Auch deswegen wartet man gerade in der EU darauf, dass es endlich wieder eine Regierung in Berlin gibt. Innenpolitisch aber, gar im inneren Gefüge der Republik, spiegelt das Personal dieser Koalition nicht die Veränderung wider, die sehr unterschiedliche Teile der Gesellschaft erwarten. Allerdings gibt es auch keinen Konsens über die Art dieser Veränderungen. Im Gegenteil: Die Vorstellungen über die Zukunft des Landes streben weiter auseinander als jemals zuvor. Diese vielfältigen Polarisierungen gab es weder zu Zeiten von Schmidts Kanzlerdämmerung noch beim nahenden politischen Ende Kohls.