Große Koalition:Bündnis der Realisten

Von Merkels Anspruch, Deutschland einen völlig neuen Anfang zu bescheren, bleibt wenig übrig. Ihre Regierung wird manches besser, aber nicht alles anders machen können als die rot-grüne Koalition. Doch dies muss gar nicht so schlecht sein.

Ein Kommentar von Ulrich Schäfer

Angela Merkel muss für ihren Einzug ins Kanzleramt einen hohen Preis bezahlen. Die CDU-Chefin hat am Montag in einem Nebensatz angedeutet, wer diesen Preis mit in die Höhe getrieben hat: CSU-Chef Edmund Stoiber.

Merkel_dpa

Darf Kanzlerin werden: Angela Merkel

(Foto: Foto: dpa)

Weil der bayerische Ministerpräsident auf einem speziell für ihn aus drei Teilressorts zusammengeschraubten Wirtschaftsministerium bestanden hat, musste die designierte Kanzlerin alle anderen für die Wirtschafts- und Reformpolitik wichtigen Ressorts der SPD überlassen.

Von Angela Merkels Anspruch, Deutschland einen völlig neuen Anfang zu bescheren, bleibt also wenig übrig. Ihre Regierung wird manches besser, aber eben nicht alles anders machen können als die Koalition von Gerhard Schröder.

Doch dies muss gar nicht so schlecht sein. Denn die SPD hat, getrieben von Zwängen der wirtschaftlichen Entwicklung, in den vergangenen sieben Jahren mehr bewegt, als viele Ökonomen und die Union zuletzt wahrhaben wollten: Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden zusammengelegt, eine kapitalgedeckte Altersvorsorge eingeführt, die Steuersätze für Unternehmen und Bürger deutlich gesenkt und die Krankenkassen bis auf weiteres saniert.

Natürlich widerstrebt den Genossen bis heute jene Radikalität, für die Westerwelle steht und Merkel stand. Doch die Sozialdemokraten haben trotz aller Zögerlichkeit begriffen, dass die sozialen Sicherungssysteme, der Arbeitsmarkt und das Staatswesen modernisiert werden müssen.

Wider den Reformstau

Jene, die der vertanen Chance einer schwarz-gelben Koalition nachtrauern, übersehen dabei gern, dass es eine SPD-geführte Regierung war, die den Reformstau aufgelöst hat.

Mithin wäre es falsch, die große Koalition nun von vornherein als Bündnis des programmierten Stillstands zu bezeichnen, als eine Regierung, die wenig verändern kann, weil sie sich selber blockiert. Es wird, so viel ist nach dem Zuschnitt der Ressorts gewiss, keine radikalen Einschnitte geben, wie sie die Union noch im Wahlkampf propagiert hat.

Die Bierdeckel-Steuer ist tot, weil das Finanzressort von einem SPD-Minister geführt wird (und eine großzügige Steuerreform angesichts leerer Kassen unbezahlbar ist). Die Kopfpauschale ist Geschichte, weil das Gesundheitsressort ebenfalls den Sozialdemokraten zufällt (und die soziale Abfederung der Prämie ebenfalls Milliarden kosten würde).

Und vom Eingriff ins Tarifrecht haben sich die Unionisten bereits verabschiedet, ehe sie mit dem künftigen SPD-Arbeitsminister darüber verhandelt haben; sie wissen selber, dass die betrieblichen Bündnisse für Arbeit, die sie gesetzlich verordnen wollten, in vielen Unternehmen längst Realität sind.

An die Stelle der Wahlkampf-Luftschlösser dürfte in einer großen Koalition eine in mancherlei Hinsicht weniger wagemutige, aber auch kalkulierbarere Politik treten.

Neue Föderalismusreform möglich

In den Koalitionsverhandlungen können Union und SPD, so sie sich denn einigen, vieles beschließen, was ansonsten im Vermittlungsausschuss landen und dort zerrieben würde - und zum Beispiel bald eine Föderalismusreform auf den Weg bringen, die deutlich über den gescheiterten ersten Versuch hinausgeht.

Wenn es die Regierung Merkel schaffen würde, auch das Gewirr der föderalen Steuer- und Finanzbeziehungen zu entflechten, das zum Teil auf die Große Koalition von 1966 bis 1969 zurückgeht, wäre dies ein gewaltiges Verdienst; die deutsche Politik würde dadurch erheblich beweglicher und schneller.

Wenn es zudem gelänge, im nächsten Jahr das Steuerrecht für Unternehmen zu vereinfachen und die Sätze zu senken, würde dies auch im Ausland als Aufbruchsignal verstanden - selbst dann, wenn die Unternehmen unterm Strich nur wenig entlastet werden.

Denkbar ist auch, dass die große Koalition die Pflegeversicherung auf neue Beine stellt sowie im Gesundheitssektor für zusätzlichen Wettwerb sorgt und damit die Kosten dämpft. Union und SPD müssen zudem, auch weil die Stabilitätswächter der EU-Kommission sie dazu zwingen werden, den Haushalt Schritt für Schritt sanieren. Dies geht nur, wenn unnütze Subventionen, Förderprogramme und Steuervergünstigungen wegfallen.

Wichtige Rolle Stoibers

Dem Bundesminister Stoiber kommt auch aus Sicht der Union hierbei eine entscheidende Rolle zu. Er könnte, würde er sich als Wirtschaftsminister im Sinne von Otto Graf Lambsdorff oder Ludwig Erhard verstehen, zum liberalen Gewissen der Regierung werden und auf die Einhaltung marktwirtschaftlicher Prinzipien achten.

Er könnte dies, wohl gemerkt. Aber Stoiber ist kein Ordnungspolitiker, sondern eher ein Industriepolitiker, der hier und dort eingreift, sich um Zukunftstechnologien kümmert und im Interesse der deutschen Wirtschaft mit Brüssel anlegt. Insofern unterscheidet er sich kaum von Schröder.

Was die schwarz-rote Koalition zu leisten vermag, wird sich zum Teil in den Koalitionsverhandlungen herausschälen. Vieles jedoch dürfte sich erst im Laufe der Regierungsarbeit finden. Auch wenn sich nun allenthalben Unzufriedenheit breit macht, verdient dieses Bündnis, das immerhin 70 Prozent der Wählerstimmen repräsentiert, eine faire Chance. Es liegt an Merkel, Stoiber und Müntefering und ein wenig auch noch an Schröder, sie zu nutzen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: