Süddeutsche Zeitung

Mediale Botschaften:So inszenieren die Gegner den G-7-Gipfel

Lesezeit: 3 min

Von Michael Bauchmüller

Die Köpfe sind schon wieder aufgeblasen, jetzt schweben sie über einem Supermarkt-Parkplatz, nicht weit vom Pressezentrum entfernt: Merkel, Hollande, Obama, alle kugelrund und eigenartig verzerrt. Daneben stehen Jugendliche, sie rufen: "G 7, wir wollen mehr als heiße Luft." Kameras sind auch da, die Leute von "One" sind zufrieden.

Schlappe 20 000 Euro hat sich die Entwicklungshilfe-Lobby den Spaß kosten lassen, sie haben sich schon jetzt rentiert: in Form von Bildern in Zeitungen und Fernsehnachrichten. "Natürlich ist das auch eine Inszenierung", sagt Tobias Kahler, der Deutschland-Chef der amerikanischen Organisation.

So wie vom Schloss möglichst einträchtige Bilder der Mächtigen ausgehen sollen, so produzieren auch andere Bilder für ihre Anliegen, die Bühne ist groß genug. "Der Gipfel ist eine Ritual auf beiden Seiten", sagt Kahler. "Entscheidend ist, dass unsere Botschaft auch in Elmau ankommt." Sie heißt, kurz gesagt: mehr Geld von den Reichen für die Ärmsten. Die Aktion diene letztlich denen, die es nie ins Rampenlicht schaffen. Wenn es an einem keinen Mangel gibt, in und um Elmau, dann ist es das: Rampenlicht.

Der Gipfel als Werkzeug für Botschaften

Viele wollen das nutzen für Botschaften aller Art. Die Kinderorganisation World Vision warnt davor, sich zu sehr auf die Folgen der Ebola-Epidemie zu konzentrieren - und darüber Krankheiten wie Malaria, Durchfall oder Lungenentzündung zu vergessen. "Jeden Tag sterben 17 000 Kinder unter fünf Jahren an solchen vermeidbaren Krankheiten", sagt Christoph Waffenschmidt, Vorstandsvorsitzender von World Vision in Deutschland. "Bei der G 7 droht das unterzugehen." Für ausländische Journalisten sitzen im Pressezentrum deshalb auch World-Vision-Abgesandte aus den anderen G-7-Staaten, sie verbreiten die Botschaft in allen Sprachen.

Entscheidend aber sind die Bilder, ob am Schloss oder beim Pressezentrum. Damit möglichst viele die Ebola-Botschaft sehen, haben etwa die World-Vision-Leute ein Transparent mit einem Schiff gebastelt, das auf einen Eisberg namens Ebola zudriftet. Die wahren Krankheiten, so die Botschaft, verbergen sich unter der Wasseroberfläche. Und weil das ganze ja auch die G 7 betrifft, haben sich sieben von ihnen als Kapitäne verkleidet, mit den Gesichtern der sieben Staatsgäste von Elmau. Damit nicht genug, tragen die Kapitäne auch noch Rettungsringe. "Moskitonetze", "Hebammen", "Impfungen" steht darauf. Vorsichtshalber hat die Organisation von der Aktion auch selber Fotos gemacht, die sie bereitwillig hergibt. "Natürlich nutzen wir diese Bühne", sagt Waffenschmidt. "Nur so können wir Druck entfalten." Mit der Kraft der Bilder.

Nicht anders die Sensenmänner und -frauen, mit denen die Welthungerhilfe als Botschaft an die Sieben loszog. Wenn sich Menschen nicht als Kleinbauern versorgen können, dann seien Millionen Menschen von Hunger und Tod bedroht, warnte die Organisation vor dem Gipfel. "Mit aller Kraft und entsprechenden Mitteln" müsste sich die G 7 für Kleinbauern einsetzen, verlangte die Welthungerhilfe - und steht nun ihrerseits in der Kritik. Denn für die Wirkmacht der Bilder hatte sie Schauspieler als Sensenleute engagiert. Mancher findet derlei Umgang mit Spendengeld anrüchig. Immerhin sei das Thema Hunger nun auf die Agenda der Sieben gerückt, findet dagegen die Welthungerhilfe.

Ohnehin findet sich rund um den Gipfel Stoff für mindestens drei Gipfelerklärungen. Oxfam etwa, im Pressezentrum zwei Tischreihen stark vertreten, fordert mehr Gehör für die globale Ungleichheit. Im Vordergrund des Gipfels stehe das Wachstum, kritisiert Oxfam-Kampagnenchef Jörn Kalinski. "Es muss aber auch um Möglichkeiten einer gerechten Verteilung gehen." Das passende Motiv geben abermals sieben Konterfeis der Staats- und Regierungschefs ab, Köpfe aus Pappmaché. Diesmal tragen sie Bayern-Tracht und Wanderstiefeln.

Vor einem Wegschild konnten sie sich am Samstag zwischen "Weniger Armut" und "Mehr soziale Ungleichheit" entscheiden, aber die Protagonisten sind sichtlich unschlüssig. "Die Pappmaché-Köpfe funktionieren", sagt Kalinski. Am Sonntag kommen sie deshalb noch einmal zum Einsatz. Diesmal grillen die Sieben einen Erdball. Die Kanzlerin höchstpersönlich schaufelt die Kohle ins Feuer. Die echte Merkel, findet Oxfam, soll aus der Kohle aussteigen.

Das Ziel der Gruppen: Forderungen unter das Volk bringen

Längst konkurrieren die Gruppen um Sende- und Zeitungsplätze. "Die Wirkung entfaltet sich über die Medien", sagt Kalinski. Alle möglichen Gruppen hocken deshalb, jenseits aller Inszenierung, im Pressezentrum. Sie wollen ihre Forderungen unter das Volk bringen und Entscheidungen gegebenenfalls schnell kommentieren. Die US-Kampagnenorganisation Avaaz etwa hat zwei Abgesandte geschickt, die sich vor allem mit Klimapolitik beschäftigen. Ihr Ziel: jeden Tag mit zehn Journalisten reden, mindestens. Umweltorganisationen wie der WWF, Germanwatch und Greenpeace sind dabei, um den Fortgang der Klimagespräche zu verfolgen - und nebenbei Druck auf die Kanzlerin auszuüben. "Hauptsächlich geht es uns um die nationale Klimadebatte", sagt Martin Kaiser, Klimaexperte bei Greenpeace. "Wenn man Gastgeber ist bei so einem Gipfel, dann muss man auch liefern." Die Botschaft findet hiermit den Weg in die Zeitung.

Am Abend, bei Einbruch der Dunkelheit, lässt "One" dann die heiße Luft aus seinen G-7-Ballons, für diesen Sonntag haben sie ihren Dienst getan. Besser noch: Wenn es keinen überraschenden Regierungswechsel gibt, könnten sie beim nächsten G-7-Gipfel in Japan wieder aufsteigen. Warnungen vor heißer Luft vertragen diese Gipfel schließlich immer.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2015
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