Süddeutsche Zeitung

Großdemonstrationen in Kairo:"Das Volk will den Sturz des Regimes"

Die Angst vor neuer Gewalt wächst: Mit Großdemonstrationen will eine Protestbewegung in Kairo den islamistischen Präsidenten Mursi am Jahrestag seines Amtsantritts zu Fall bringen. Am symbolträchtigen Tahrir-Platz versammelten sich bereits Mittags Tausende, um Mursis Rücktritt zu fordern.

Zum Jahrestag des Amtsantritts von Ägyptens Präsident Mohammed Mursi haben Regierung und Opposition ihre Anhänger mobilisiert. Angesichts rivalisierender Kundgebungen in Kairo wuchs am Sonntag die Sorge vor einer Eskalation der Gewalt, nachdem in den Tagen zuvor bei Protesten mehrere Menschen getötet worden waren.

Am symbolträchtigen Tahrir-Platz im Zentrum der Hauptstadt versammelten sich bereits mittags Tausende Gegner, um den Rücktritt Mursis zu fordern.

"Das Volk will den Sturz des Regimes", riefen die Demonstranten, von denen viele Fahnen schwenkten und rote Karten hoch hielten, während aus Lautsprechern patriotische Lieder erschallten. Für den späten Nachmittag waren mehrere Protestzüge zum Präsidentenpalast in Heliopolis am Rande von Kairo geplant.

Schon in der Nacht hatten sich Zehntausende Demonstranten in Kairo und anderen Städten versammelt. Tausende Gegner der islamistischen Regierung sind nach Kairo gereist, um an den geplanten Massenprotesten gegen die Muslimbruderschaft teilzunehmen. Das Nachrichtenportal youm7 meldet, die Organisatoren der zentralen Kundgebung auf dem Tahrir-Platz hätten die Straßen rund um den Platz mit Metallgittern und Sandsäcken abgesperrt. Über dem Kairoer Tahrir-Platz kreisen am frühen Morgen Armeehubschrauber, vor staatlichen Einrichtungen ziehen Soldaten mit gepanzerten Fahrzeugen auf.

Im ganzen Land sind Demonstrationen von Gegnern und Befürwortern des islamistischen Staatschefs geplant. Beobachter fürchten eine dramatische Eskalation der Lage und blutige Zusammenstöße. Geschäftsleute schließen ihre Läden und Büros aus Angst vor Gewalt und Zerstörung.

Die Zeitungen beschreiben die Stimmung mit dramatischen Überschriften: "Der längste Tag" heißt es bei Al Gomhurija. Staatliche Zeitungen titelten: "Ägypten im Griff der Angst" und "Ägypten auf einem Vulkan". Viele unabhängige Zeitungen gaben die Positionen der Mursi-Gegner wider. "Ein Jahr ist genug" und "Rote Karte für den Präsidenten" oder "Der jüngste Tag". Die Armee drohte mit einem Eingreifen, falls die Lage außer Kontrolle gerate.

Sieben Tote und mehr als hundert Verletzte

Bei Protesten gegen den Präsidenten waren am Freitag mindestens drei Menschen getötet und mehr als hundert verletzt worden. Unter den Toten war auch ein 21-jähriger US-Student. Nach Angaben der Sicherheitskräfte stach ihm in Alexandria ein zunächst nicht identifizierter Mann mit einem großen Messer in die Brust, als er Demonstranten fotografierte.

Seit Mittwoch kamen nach offiziellen Angaben mindestens sieben Menschen bei den Krawallen ums Leben. Als am Samstagabend über dem Tahrir-Platz Armeehubschrauber auftauchten, schwenkten die Menschen die ägyptische Flagge und riefen: "Das Volk und die Armee gehören zusammen." Auch in der Nähe des Präsidentenpalastes im Stadtteil Heliopolis, den Mursi bereits verlassen hat, sammelten sich Gegner des Präsidenten.

Anhänger Mursis strömten zu einer Kundgebung an einer großen Moschee im Osten der Hauptstadt. In Armee-Manier übten sie Stockkampf und Beinarbeit.

Ein führender muslimischer Geistlicher warnte beide Seiten vor einem Bürgerkrieg. "Gewalt, Mord, Brandstiftung und Blutvergießen sind verdammenswert", sagte das Oberhaupt des einflussreichen Al-Azhar-Islam-Instituts, Scheich Ahmed al-Tajjib.

US-Präsident Barack Obama äußerte sich besorgt über die anstehenden Demonstrationen und rief die ägyptischen Behörden auf, für die Sicherheit der amerikanischen Botschaft und der Konsulate zu sorgen. Während eines Besuchs in Südafrika forderte er Demonstranten und Sicherheitskräfte zu Zurückhaltung auf. "Wir unterstützen friedliche Proteste und friedliche Methoden, im Land Wandel zu schaffen", sagte er nach einem Gespräch mit dem südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma in Pretoria.

Das Auswärtige Amt empfiehlt deutschen Staatsbürgern "nachdrücklich", während und nach den angekündigten Großdemonstrationen "besondere Vorsicht walten zu lassen und den jeweiligen Einzugsbereich der Demonstrationen (für Kairo insbesondere die Innenstadt und Heliopolis) weiträumig zu meiden".

Das Ziel: Neuwahlen erzwingen

Auf dem internationalen Flughafen in Kairo herrschte Hochbetrieb. Sämtliche Flüge in die USA, nach Europa und in die Golfstaaten waren nach Angaben aus Sicherheitskreisen ausgebucht. Auch Mitarbeiter und Familienangehörige der US-Botschaft - insgesamt 45 Personen - verließen den Angaben zufolge das Land unter anderem in einer Maschine nach Frankfurt/Main. Das US-Außenministerium warnte Amerikaner vor nicht unbedingt nötigen Reisen nach Ägypten.

Ziel der Protestbewegung ist es, den Rücktritt von Präsident Mohammed Mursi und Neuwahlen zu erzwingen. Die Muslimbruderschaft, als deren Kandidat Mursi 2012 die Wahl gewonnen hatte, lehnt dies ab. Eine Behörde, die zum Investitionsministerium gehört, drohte fünf privaten ägyptischen Fernsehstationen mit einem Sendeverbot.

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