Großbritannien:Wie Europa mit der Brexit-Zäsur umgeht

Extraordinary EU leaders summit in Brussels

Britische Premierministerin Theresa May.

(Foto: Dylan Martinez/ Reuters)
  • Die EU-Staaten haben am Wochenende den Austrittsdeal genehmigt: Nach 45 Jahren EU-Mitgliedschaft rückt der Abschied von Großbritannien nun immer näher.
  • Vom Brexit-Sondergipfel geht auch eine klare politische Botschaft aus: Die verbleibenden Mitgliedstaaten wollen zweierlei demonstrieren: Einigkeit nach innen - und Härte nach außen.

Von Karoline Meta Beisel, Matthias Kolb und Alexander Mühlauer, Brüssel

Würden sie nicht so traurig schauen, könnte man meinen, Jean-Claude Juncker und Michel Barnier hätten gerade einen Oscar gewonnen. Solche Dankesreden jedenfalls kennt man sonst nur von Filmpreisverleihungen. Juncker, der Präsident der EU-Kommission, bedankt sich bei seinem Generalsekretär, seinem Büro und vor allem bei Chefunterhändler Barnier. Er sagt, was man eben sagt, auch wenn der Anlass ein wehmütiger ist. Nach 45 Jahren EU-Mitgliedschaft rückt der Abschied von Großbritannien nun immer näher. Doch bevor es im Frühjahr so weit ist, will auch Barnier noch einmal "Merci" sagen. Nächtelang haben er und sein Team den Brexit-Deal ausgehandelt; nun steht der Franzose im Pressesaal des Ratsgebäudes und sagt: "Die Mitarbeiter der EU können stolz auf euch sein."

Doch bei allem Stolz über das Erreichte und der Erleichterung, dass zumindest dieser Teil der Verhandlungen geschafft ist, gibt es bei diesem Brexit-Sondergipfel auch eine klare politische Botschaft. Die 27 verbleibenden Mitgliedstaaten wollen vor allem zweierlei demonstrieren: Einigkeit nach innen - und Härte nach außen. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, dessen Land zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, drückt es so aus: "Wichtig ist, dass sich in Großbritannien jeder bewusst ist, dass das Ergebnis, das jetzt vorliegt, auch das Ergebnis ist." Es werde "sicherlich nicht nachverhandelt, und es gibt auch keinen weiteren Spielraum". Noch deutlicher sagt es Juncker: "Das ist der einzig mögliche Deal." Mit anderen Worten: take it or leave it.

Angela Merkel, noch nie eine Freundin markiger Auftritte, zeigt sich versöhnlicher. Nach dem Treffen mit den Staats- und Regierungschefs sitzt die Bundeskanzlerin vor der blauen Wand im deutschen Presseraum und spricht von "zwiespältigen Gefühlen", die der "historische Tag" in ihr auslöse. Traurig sei sie. Und damit ist Merkel nicht allein. Doch trotz so mancher Emotion geht es an diesem Sonntag am Ende um die Sache. Den von Barnier ausgehandelten 585 Seiten langen Austrittsvertrag lobt Merkel als "diplomatisches Kunststück" und betont, dass die Gespräche über das künftige Freihandelsabkommen "hart" werden würden. Auch wenn der künftige Drittstaat Großbritannien besondere Privilegien erhalte, müsse die Trennung korrekt vollzogen und für die Rechte der EU-Bürger gekämpft werden. Gerade um die Fischereirechte zeichnet sich bereits jetzt ein verbissenes Ringen ab. Spätestens wenn es um die künftige Wirtschaftsbeziehung geht, dürfte es mit der viel beschworenen Einheit der EU-27 vorbei sein. Zu unterschiedlich sind die Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten, ihre Absichten und Verbindungen mit dem Königreich.

Doch so weit ist es noch lange nicht. Nun wartet die EU gespannt, ob es der britischen Premierministerin Theresa May gelingt, für den Vertrag eine Mehrheit im Unterhaus zu bekommen. Auf die Frage, ob sie eine Reise nach London plane, um May zu helfen, sagt die Kanzlerin nur knapp: "Nichts, wonach man nicht gefragt wird, sollte man tun." Mays Auftritt im überfüllten britischen Pressesaal lässt jedenfalls vermuten, dass diese Einladung nie ausgesprochen wird. Sie sei überhaupt nicht traurig an diesem Tag, sagt die Regierungschefin als Reaktion auf Merkels Äußerung. Im Gegenteil: "Ich bin überzeugt, dass unsere besten Tage noch vor uns liegen."

May richtet sich direkt an das britische Volk. Der heutige Deal erfülle den Willen jener 52 Prozent, die für den Brexit gestimmt haben: "Wir bekommen die Kontrolle zurück über unser Geld, unsere Gesetze und unsere Grenzen." Selbstbewusst ignoriert May Fragen nach einem Rücktritt im Falle eines "No" im Unterhaus. Sie betont, keinen Plan B zu haben und zitiert sogar sinngemäß Juncker: Dieser Deal ist der beste und einzig mögliche.

Es dauerte nur eine knappe halbe Stunde, bis die Staats- und Regierungschefs das Austrittsabkommen zwischen dem Königreich und der EU gebilligt hatten. Auch die politische Erklärung, die den Rahmen absteckt für die Verhandlungen über das künftige Verhältnis zwischen den Parteien, wurde einstimmig durchgewinkt. Die Einheit der EU-27 schien während der Brexit-Verhandlungen nie wirklich in Gefahr zu sein. Nur kurz vor dem Sondergipfel hatte die spanische Regierung mit einem Veto gedroht, sollte es keine einvernehmliche Lösung im Streit über den künftigen Status Gibraltars geben. Nun bekommt Madrid, was es wollte: Ohne Spanien kann in Sachen Gibraltar nach dem Brexit nichts entschieden werden. Auch dieser Problemberg wurde von Barnier wegverhandelt.

Für die britischen Mitarbeiter in Brüssel hat dieser Tag ganz persönliche Konsequenzen

Für Europa ist der britische Rückzug aus der EU auch menschlich eine Zäsur. In besonderem Maße gilt das für die Politiker und Beamten, die in Brüssel, Straßburg oder den Hauptstädten der Mitgliedstaaten im Moment noch tagtäglich mit dieser Union zu tun haben. EU-Ratspräsident Donald Tusk verspricht den Briten: "Wir werden Freunde bleiben bis zum letzten Tag, und noch einen Tag länger." Für die britischen Mitarbeiter der europäischen Institutionen hat dieser Tag ganz persönliche Konsequenzen. Viele von ihnen wissen nicht, wie es nach dem Brexit für sie weitergeht. Juncker verspricht zumindest den Mitarbeitern in der Kommission, dass sich für sie nichts ändern werde: "Wir werden niemanden hinauswerfen."

Für die Europa-Abgeordneten steht die große Brexit-Abstimmung noch bevor. Denn nicht nur das britische Parlament muss dem Deal nun zustimmen, auch das Europäische. Während in London alles passieren kann, droht auf dem Kontinent keine Revolte. Das EU-Parlament wird sich wohl erst im Februar oder März mit dem Paket befassen, sagt Parlamentspräsident Antonio Tajani, weil die Dokumente erst noch übersetzt werden müssten. Die Zustimmung gilt aber als sicher.

Kommissionspräsident Juncker hat an diesem Sonntag jedenfalls keine große Lust, sich mit Was-wäre-wenn-Szenarien zu beschäftigen. Er beantwortet Fragen danach mit einem seiner Lieblings-Bonmots: "Wenn der Esel eine Katze wäre, würde er den ganzen Tag in der Baumkrone verbringen."

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