Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Holpriger Wahlkampfauftakt für Johnson

  • Großbritanniens Premier Boris Johnson muss zum Auftakt des von ihm gewollten Wahlkampfes mit viel Gegenwind kämpfen.
  • Eine von ihm verfasste Zeitungskolumne, in der er die Wirtschaftspolitik von Labour-Chef Jeremy Corbyn mit Methoden von Josef Stalin vergleicht, wird scharf kritisiert.
  • Auch sein Parlamentsminister wird erneut wegen abgehobener Aussagen kritisiert.

Von Cathrin Kahlweit, London

Boris Johnson war am Mittwoch bei der Queen. Es war mit Sicherheit sein nettester Termin an diesem Tag, denn Elizabeth II. ist bekannt dafür, dass sie ihren Untertanen mit vornehmer Zurückhaltung begegnet. Der Premier habe ihr mitteilen wollen, ließ Downing Street wissen, dass es jetzt Wahlen geben werde und das Parlament deshalb aufgelöst sei. Es ist anzunehmen, dass die Königin das schon wusste.

Ansonsten liefen die vergangenen Tage für den Premierminister eher schlecht. Man könnte auch sagen: desaströs. Johnson startete den Wahlkampf der Tories offiziell am Mittag in den westlichen Midlands mit einer Rede. Aber das interessierte die Nation nur marginal. Interessanter war da schon, dass er den Wahlkampfauftakt mit einem Artikel in seinem Leib- und Magenblatt, dem Daily Telegraph, gefeiert hatte, der ihm bis vor Kurzem 300 000 Euro jährlich gezahlt hatte, damit er wöchentlich eine Kolumne schrieb. In dem Text, mit dem der Telegraph am Mittwoch aufmachte, verglich Johnson Labour-Chef Jeremy Corbyn mit dem Sowjet-Diktator Josef Stalin, in dessen Ägide Millionen ermordet, in Arbeitslager gesteckt oder dem Hungertod preisgegeben worden waren.

Die Regierung blockiert einen Bericht über Russlands Einfluss auf das Brexit-Referendum

Der Premierminister argumentierte, die Linke hasse die Idee vom ökonomischen Profit so sehr, dass sie die wirtschaftliche Basis des Königreichs zerstören würden. "Sie behaupten, ihr Hass richte sich nur gegen Milliardäre", schreibt Johnson, "aber sie verfolgen diese Menschen mit einer Rachsucht, wie man sie nicht mehr gesehen hat, seit Stalin die Kulaken verfolgt hat". Als Kulaken und Klassenfeinde wurden während der Zwangskollektivierung der sowjetischen Landwirtschaft Bauern umgesiedelt oder umgebracht, die es zu ein wenig Wohlstand oder Landbesitz gebracht hatten.

Der Vergleich, den Johnson bemühte, kam nicht überall gleich gut an - zumal die Regierung gerade massiven Ärger wegen einer aktuellen Causa hat, die mit Russland zu tun hat. Downing Street weigert sich, einen Bericht zu veröffentlichen, den der Geheimdienst- und Sicherheitsausschuss des Parlaments in monatelangen Beratungen und nach Einvernahme Dutzender Zeugen erstellt hatte. Darin geht es um den Einfluss Moskaus auf das Brexit-Referendum und die Wahl 2017. Der Bericht müsse noch ausführlich geprüft werden, bevor er freigegeben werde, heißt es aus der Regierung. Dominic Grieve, bis zur Auflösung des Unterhauses Vorsitzender des Komitees, nannte die Weigerung, den Report zu veröffentlichen, "skandalös".

Am Mittwoch hatten alle Parteien ihre Kampagnen gestartet. Labour-Chef Corbyn traf in Wolverton begeisterte Anhänger und versprach, das Land fairer, sozialer und gleicher zu machen. Jo Swinson von den Liberaldemokraten betonte, sie könne den Job der Premierministerin besser als Johnson oder Corbyn. Die Grünen wollen Milliarden in den Umweltschutz stecken. Nicola Sturgeon, Ministerpräsidentin von Schottland und Vorsitzende der Schottischen Nationalpartei, versprach ein Unabhängigkeitsreferendum, am liebsten schon nächstes Jahr. Und Nigel Farage von der Brexit-Partei versuchte seine Freunde bei den Tories mit der Zusicherung zu beruhigen, er werde vor allem Labour schaden.

Aber so richtig interessierte das alles niemanden. Mediale Aufmerksamkeit zogen weiterhin vor allem die Tories auf sich, welche die Wahl am 12. Dezember schließlich vom Zaun gebrochen hatten und auf einen leichten Sieg sowie eine sichere Mehrheit im nächsten Unterhaus hoffen. Den Brexit, so Johnson, wollen sie am liebsten noch vor Weihnachten durchpeitschen.

Aber die Pleiten und Pannen mehren sich, und bei den Vertretern der politischen Konkurrenz stellt sich Schadenfreude ein. Da ist, zum einen, Parlamentsminister Jacob Rees-Mogg, der in einem Radiointerview am Dienstag gesagt hatte, es sei "gesunder Menschenverstand", aus einem brennenden Haus zu flüchten. Er bezog sich damit auf den Bericht zur Brandkatastrophe im Grenfell-Hochhaus 2017, bei dem 72 Menschen umgekommen waren. Die Feuerwehr hatte den verzweifelten Menschen, die in der Flammenhölle saßen, geraten, zu bleiben wo sie sind.

Kritiker und Familienangehörige der Opfer werfen Rees-Mogg nun vor, abgehoben zu sein und so zu tun, als sei er schlauer als diejenigen, die auf Rettung gehofft hatten. Er entschuldigte sich später für seine "mangelnde Sensibilität". Entschuldigen musste sich auch Andrew Bridgen, Hardliner in der Tory-Partei, der Rees-Mogg keck in Schutz genommen hatte. Schließlich wolle man ja doch, hatte er gemeint, dass das Land von schlauen Politikern regiert werde. Und dann trat am Mittwoch noch der Chef der walisischen Tories und Minister für Wales, Alun Cairns, zurück. Er hatte behauptet, er wisse nichts über die Rolle, die ein früherer Mitarbeiter in einem Vergewaltigungsprozess gespielt hatte. Was nicht stimmte. Kein guter Start für die Tories.

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SZ vom 07.11.2019/bix
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