Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Großbritannien:Boris Johnson hatte leichtes Spiel

Seinem Gegner Jeremy Corbyn wird er ewig dankbar sein müssen. Denn der Labour-Chef war der beste Wahlkampfhelfer für die Konservativen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Die Idee einer Wahl ist, dass man - nun ja: die Wahl hat. Eine Wahl hatten die Briten nicht wirklich. Niemand hat ihnen den Pfad gezeigt, der sie aus dem tiefen Unterholz des Brexit geführt hätte. Niemand hat ihnen Wahrheit von Lüge getrennt. Niemand hat eine Alternative geboten zum Populismus, ob er nun von rechts oder von links kommt.

Diese Unterhauswahl ist möglicherweise wirklich die wichtigste, die den britischen Wählern in vielen Jahrzehnten geboten wurde. Sie haben - diesen Vorwurf kann man niemanden machen - reichlich Gebrauch gemacht von ihrem Stimmrecht. Dies war also eine bewusste und klare Entscheidung, die eine überwältigende Mehrheit getroffen hat. Eine Entscheidung zugunsten der Verführung und der Simplizität.

Eigentlich sollte man darüber nicht besonders erstaunt sein, weil Boris Johnson zwei unschlagbare Verbündete hatte: den Bauch und Jeremy Corbyn. Den Bauch, weil der Instinkt den britischen Wählern sagte, dass nach dreieinhalb Jahren endlich Klarheit herrschen muss, egal um welchen Preis. Johnson versprach Klarheit mit dem simplen Satz: "Get Brexit done." Dagegen nahmen sich alle Ratschläge zur taktischen Stimmabgabe und alle Koalitionsgedankenspiele in ihrer Komplexität aus wie ein gaußsches Fehlerintegral.

Corbyn, der wichtigste Wahlkämpfer der Tories

Jeremy Corbyn aber war der eigentliche Garant des Tory-Sieges. Er wird als Albtraum-Vorsitzender in die Geschichte der Labour-Partei einziehen, ihm muss Johnson auf ewig dankbar sein. Für jeden Wähler der aufgeklärten Mitte war Corbyns Mischung aus autoritärer Arbeiterführerschaft mit viel Chauvinismus, Nationalismus und Antisemitismus gruselig.

Jeremy oder Boris? Labour hätte es nicht zu diesem Duell kommen lassen dürfen. Unter den zwei Verführern und Großsprechern war Johnson eindeutig der bessere. Man könnte auch sagen: Er war das kleinere Übel.

Ein Übel bleibt er dennoch, weil er seit nunmehr drei Jahren ein politisches Zerstörungswerk inszeniert, das exakt in dieser Entscheidung münden sollte: einer überwältigenden Mehrheit für den Premier Johnson mit einer Blankovollmacht zum Austritt aus der Europäischen Union und einem Freifahrschein für ein konservatives Manifest, das die Fantasie zum Programm erhoben hat.

Die EU darf jetzt nicht umfallen

Der Brexit also: Er wird vermutlich in den kommenden Tagen, spätestens Ende Januar, formell beschlossen. Dann aber beginnt die eigentliche Mühsal, wenn die von Adrenalin getränkte Regierung Johnson mit der EU die Details eines Handelsabkommens aushandeln will. Mehr denn je muss die EU nun zu ihren Prinzipien stehen: keine Aufweichung des Binnenmarkts, keine Mitgliedschaft light. Das wird zu Lasten der Iren gehen, wohl wahr. Sollten die Briten aber Regeln des Binnenmarktes außer Kraft setzen oder Standards untergraben, brächte es das zentrale Gewölbe der EU zum Einsturz.

Johnson muss also nach der Wahl erfahren, was er auch schon vor der Wahl wusste: Seine Vorstellung einer Sonderbeziehung kann so besonders nicht sein. Da er ein immenses Gespür für seine Macht hat, wäre er gut beraten, eine ganz andere Richtung einzuschlagen: Seine satte Mehrheit wird es ihm erlauben, einen wirklichen sanften Brexit zu verhandeln, der Britanniens Wirtschaft hilft und große Schocks vermeidet.

Der alte und neue Premier war schon immer ein großer Spieler, ein Leichtfuß der Macht. Sein größtes Spiel hat er gerade gewonnen. Warum sollte er den Gewinn riskieren?

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