Vereinigtes Königreich:Das Wichtigste zur Wahl in Großbritannien

July 30 2019 London United Kingdom An anti Brexit demonstrator waves an EU and a Union flag as M

Natürlich ist der britische Austritt aus der Europäischen Union das wichtigste Wahlkampfthema - aber nicht das einzige.

(Foto: Alberto Pezzali/imago images/ZUMA Press)

Wer sind die wichtigsten Personen? Worum geht es im Wahlkampf? Und warum macht das britische Wahlrecht die Sache so kompliziert? Ein Überblick mit Grafiken.

Von Christian Endt, Philipp Saul und Benedict Witzenberger

Es ist leichter gesagt als getan: Weder Theresa May noch ihr Nachfolger Boris Johnson haben es geschafft, das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union zu führen. Immer wieder verweigerte das Unterhaus in London den konservativen Regierungschefs eine Mehrheit für einen mit der EU ausgehandelten Deal.

Um die Selbstblockade aufzuheben, haben sich die Parlamentarier auf Wunsch von Premier Johnson auf Neuwahlen am 12. Dezember geeinigt. Er hofft auf eine eigene Mehrheit im Parlament, mit der er seinen Brexit-Deal durchbringen kann. Lesen Sie hier die wichtigsten Informationen zur Wahl im Vereinigten Königreich.

Was sagen die Umfragen?

Johnson will eine absolute Mehrheit im Parlament und es könnte gut sein, dass der Premierminister diese Mehrheit auch bekommt. Johnson führt die Umfragen der vergangenen sieben Tage mit seiner Konservativen Partei deutlich an und liegt bei etwa 43 Prozent. Der größte Konkurrent Labour ist weit abgeschlagen und kommt auf ungefähr zehn Prozentpunkte weniger, obwohl die Partei in den Befragungen der vergangenen Wochen etwas vom negativen Trend der konkurrierenden Liberaldemokraten profitiert hat, die den Umfragen zufolge um die 13 Prozent der Stimmen bekommen könnten. Kleinere Parteien wie die nordirischen DUP und Sinn Féin, die schottische SNP oder die walisische Plaid Cymru haben zwar überregional keinen großen Rückhalt, könnten aber in ihren jeweiligen Regionen ein paar Mandate gewinnen.

Die Tories haben mit diesen Umfragewerten gute Chancen, die absolute Mehrheit der Sitze im Unterhaus zu erreichen. Sicher ist das aber wegen des Wahlrechts in Großbritannien nicht. Dazu später mehr. Umfragen sind zudem immer mit Unsicherheiten behaftet.

Wer sind die wichtigsten Protagonisten im Wahlkampf?

Worum geht es inhaltlich?

"Get Brexit done." Mit diesem Motto werben Johnsons Tories im Wahlkampf; und natürlich ist der britische Austritt aus der Europäischen Union das wichtigste Thema - aber nicht das einzige. Besonders Labour versucht immer wieder, mit anderen Inhalten zu punkten. Für Parteichef Corbyn steht vor allem der Kampf gegen soziale Ungleichheit im Vordergrund. Einer der wichtigsten Punkte neben dem Brexit ist die Gesundheitsversorgung. Labour wirft den Tories vor, den National Health Service (NHS) kaputtgespart zu haben, und will deshalb massiv investieren.

Auch in anderen Bereichen - wie etwa schnellen Internetzugängen in allen Haushalten - will Labour viel Geld in die Hand nehmen. Unter einem Regierungsschef Corbyn sollen zudem die Energie- und Wasserversorgung sowie Teile von Post und Bahn verstaatlicht werden. Dafür soll unter anderem der Spitzensteuersatz angehoben werden. Auch die Tories wollen Geld ausgeben und verabschieden sich von ihrer Austeritätspolitik. Sie versprechen, eine innovative Umweltpolitik und einen besseren NHS zu finanzieren, und wollen eine Milliarde Pfund in Kinderbetreuung investieren.

Etwa zwei Wochen vor dem Urnengang tauchte plötzlich noch ein Thema im Wahlkampf auf. Nach der Messerattacke des vorzeitig aus der Haft entlassenen Attentäters Usman Khan in der Innenstadt von London werfen sich die Parteien gegenseitig vor, die Tat durch eine zu milde Strafgesetzgebung oder eine zu rigorose Sparpolitik bei den Sicherheitsbehörden erst möglich gemacht zu haben.

Wer war bislang im Parlament?

Theresa May hatte die absolute Mehrheit und ging ins Risiko: Bei der letzten Unterhauswahl im Sommer 2017 wollte sie den knappen Vorsprung der Konservativen Partei vor der Opposition ausbauen - und verlor. Trotz guter Meinungsumfragen konnten die Tories ihre absolute Mehrheit weder ausbauen noch verteidigen. Sie bildeten deshalb fortan eine Koalition mit der nordirischen DUP. Die folgende Karte zeigt die Ergebnisse für jeden Wahlkreis - vereinfacht, damit die geografischen Unterschiede die Darstellung nicht verzerren. So sind auch die Ergebnisse der kleinen Londoner Wahlbezirke erkennbar.

Durch Nachwahlen, Parteiausschlüsse und Übertritte von Abgeordneten in andere Fraktionen ging aber auch die Mehrheit der Koalition verloren. Nach anfänglich 318 Tory-Parlamentariern waren bei der Auflösung des Parlaments am 6. November nur noch 298 Abgeordnete in der Fraktion. Auch Labour, die größte Oppositionspartei, büßte einige Sitze ein. Während der Legislaturperiode schrumpfte die Fraktion von 262 auf 243 Sitze. Grund dafür war vor allem die nicht besonders eindeutige Haltung der Partei zum Brexit und der Umgang von Parteichef Corbyn mit antisemitischen Äußerungen.

Profitieren konnten von den Austritten vor allem die Liberaldemokraten, deren Fraktion seit Sommer 2017 von 12 auf 20 Parlamentarier angewachsen ist. 24 Parlamentarier waren bei der Auflösung des Parlaments ohne Parteimitgliedschaft. Außerdem bildete sich noch die Fraktion Change UK aus ehemaligen Mitgliedern von Labour und Tories, die am Ende fünf Abgeordnete hatte.

Was hat es mit dem britischen Wahlrecht auf sich?

Zwischen dem britischen und dem deutschen Wahlrecht gibt es einen großen Unterschied. Die Sitzanteile im Bundestag werden im Verhältnis zum jeweiligen Stimmenanteil der Parteien aufgeteilt, also nach dem Verhältniswahlrecht. Anders ist es im Vereinigten Königreich. Dort wird nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. In den 650 Wahlkreisen gewinnt jeweils der Kandidat oder die Kandidatin mit den meisten Stimmen einen Sitz im Unterhaus. Parteilisten und eine anteilige Sitzverteilung gibt es nicht.

Dieses System benachteiligt kleinere Parteien und nützte bislang vor allem Labour und den Tories. Außerdem kann es passieren, dass es in einem Wahlkreis eine deutliche linksliberale Mehrheit gibt, deren Wähler sich aber auf mehrere Parteien verteilen. Das könnte dazu führen, dass die Konservativen trotzdem stärkste Kraft werden und den Sitz holen.

Um solche Fälle zu vermeiden, haben sich Liberaldemokraten, Grüne und die walisische Plaid Cymru zusammengetan. Die proeuropäischen Parteien treten allesamt für einen Verbleib in der Europäischen Union ein und haben ein Bündnis geschmiedet unter dem Namen "Unite to Remain" - vereinen um drinzubleiben. In 60 der 650 Wahlkreise wollen sie darauf verzichten, gegeneinander anzutreten, sondern stattdessen jeweils einen gemeinsamen Kandidaten unterstützen. Auch Labour sei ein Beitritt zu "Unite to Remain" angeboten worden, die Partei habe aber abgelehnt, berichtet der Guardian. Der Brexit wird also einen großen Einfluss auf das Ergebnis der Wahl haben. Zumindest in den Brexit- und Leave-Hochburgen des Referendums von 2016 sind spannende Ergebnisse zu erwarten.

Insgesamt halten Beobachter den Wahlausgang dieses Jahr für besonders offen. Etwa 13 Prozent der Wähler waren in der Woche vor der Abstimmung noch unentschlossen. Daten der British Election Study zufolge hat die Zahl der Wähler, die sich klar zu einer Partei bekennen, stark abgenommen; der Anteil der Wechselwähler wächst. Auch taktisches Wahlverhalten dürfte ein große Rolle spielen. Das ist vor allem für Remainer interessant, also Bürger, die möchten, dass Großbritannien doch noch irgendwie in der EU bleibt. Wahltaktisch gesehen sollten sie ihre Stimme derjenigen Partei geben, die in ihrem Wahlkreis die besten Chancen hat, die Konservativen zu besiegen. Mehrere Webseiten geben Tipps, welche Partei sich anbietet: In der Mehrzahl der Gegenden ist das Labour, mancherorts aber die Liberaldemokraten oder die Schottische Nationalpartei. Die Empfehlungen beruhen allerdings auf Prognosen, die aus den genannten Gründen relativ unsicher sind.

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