Süddeutsche Zeitung

Großbritannien vor der Wahl:Eine extraordinäre Einladung

Drei Wochen vor der Wahl präsentieren Tories und Labour ihre Programme. Während Premier Brown auf ein Wunder hofft, gelingt Herausforderer Cameron eine Überraschung.

W. Jaschensky

Seit einer Woche wissen die Briten, an welchem Tag sie wählen werden. Was sie allerdings wählen sollen, wissen viele noch nicht. Gut drei Wochen vor der Wahl ist deren Ausgang völlig ungewiss: Die britischen Umfrageinstitute liefern zuverlässig unterschiedliche und stark schwankende Prognosen, von einem souveränen Sieg der Tories bis zu einer knappen Wiederwahl Labours scheint am 6. Mai alles möglich.

Umso wichtiger ist nun der Wahlkampf - und das Programm. Die beiden Spitzenkandidaten präsentieren ihre Ideen und Konzepte in gedruckter Form: Am Montag Premierminister Gordon Brown, am Dienstag Herausforderer David Cameron.

Brown verspricht den Briten eine gerechte Zukunft - "A future fair for all" heißt das Manifest. Diese Vision geht auf dem Umschlag des Programmheftes im Herzen einer gezeichneten Sonne auf. Staunend blickt eine vierköpfige Familie in das versprochene Labour-Wunder.

Optisch erscheint das Werk wie eine aufgepeppte Variante sozialistischer Propagandazeichnungen - inhaltlich erscheint es ähnlich utopisch: Brown verspricht die von der Finanzkrise arg gebeutelte Wirtschaft wiederzubeleben und das Rekorddefizit von derzeit etwa 190 Milliarden Euro zu verringern, ohne im öffentlichen Dienst zu sparen oder die Einkommensteuer zu erhöhen.

Ob das die Briten nach 13 Jahren Labour überzeugt? Immerhin hat Brown in den vergangenen Monaten in vielen Umfragen auf seinem Herausforderer Cameron deutlich Boden gutgemacht.

Der legt nun nach mit einem Programm, das optisch wie inhaltlich ein deutlicher Gegenentwurf zum Labour-Manifest ist.

Auf dunklem Blau steht in silbernen Lettern eine ungewöhnliche Überschrift für ein Wahlprogramm: "Invitation to join the Government of Britain." Die Tories wollen also ihre Macht, sollten sie die Wahlen gewinnen, mit den Bürgern teilen. Die klassische Kernbotschaft der Konservativen "weniger Staat" erhält eine neue Verpackung.

Cameron verspricht nicht weniger als die umfassendste Übertragung von Macht an die Bürger seit vielen Jahrzehnten. So sollen auf lokaler Ebene zu allen Fragen Referenden abgehalten werden, sofern fünf Prozent der Bevölkerung sich dafür aussprechen.

Das Schulsystem will der Tory-Spitzenmann durch "freie Schulen" revolutionieren, die von Eltern, Wohltätigkeitsorganisationen oder Firmen geführt werden. Arbeitslose sollen künftig dabei unterstützt werden, sich selbständig zu machen, Vereinigungen in Kommunen das Recht erhalten, Einrichtungen wie das Postamt oder einen Pub zu kaufen.

Sei dein eigener Boss, sei deine eigene Regierung - die Tories setzen auf die geballte Macht individuellen Engagements und auf einen schlankeren Staat.

Immerhin dürfte es den Wählern nun leichter fallen, sich zu entscheiden. Denn die Schwerpunkte der Programme sind so unterschiedlich, dass die Bürger tatsächlich eine Wahl haben.

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