Großbritannien:Verbrieftes Ungemach

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Postboten auf der Insel leben gefährlich und müssen sich in Acht nehmen vor Katzen, Ratten und Schlaglöchern. Die Kunden sind von ihnen so enttäuscht wie von Bankern und Handwerkern.

Von Björn Finke

Postboten leben gefährlich. Allein in Großbritannien greifen Hunde jeden Tag acht Briefträger an. Doch das Management der Royal Mail, der britischen Post, hat noch viele andere Bedrohungen für ihre Angestellten ausgemacht: Schlaglöcher etwa. Schlammige Wege. Oder glitschige Bürgersteige. Bewohner von Straßen, die sich in einem derart gemeingefährlichen Zustand befinden, erhalten manchmal ganz besondere Post. In diesen Schreiben informiert Royal Mail darüber, dass leider keine Briefe mehr zugestellt werden können - aus Sorge um die Gesundheit der Boten. Die Anwohner müssen ihre Post dann bei Royal Mail abholen.

Auch Katzen können ein unzumutbares Berufsrisiko darstellen. Bella, eine vier Jahre alte Katze aus Bristol, hat die lästige Angewohnheit, am Briefschlitz hochzuspringen und nach der Post zu greifen, sobald der Bote die Umschläge von außen hereinschiebt. Briefträger fürchten um die Unversehrtheit ihrer Finger - darum droht Royal Mail den Haltern nun mit dem Lieferstopp. Eine Risikoprüfung habe ergeben, dass das Ausmaß der Gefahr eine Reaktion erfordere, heißt es sehr gestelzt in dem Schreiben.

Fälle wie der von Bella machen derzeit Schlagzeilen in Großbritannien. Schließlich ist Royal Mail eine Art Nationalheiligtum. Bereits 1516 schuf König Henry VII. das Amt des "Master of the Posts", und von vielen Briefmarken schaut das Staatsoberhaupt, Königin Elizabeth II. Die im Jahr 2013 schnöde privatisierte Royal Mail wiederum setzt in ihrer Werbung, etwa zu Weihnachten, gerne auf Bilder von tapferen Boten, die schlechtem Wetter trotzen und mit ihren Besuchen Freude noch in das hinterletzte Cottage des Königreichs bringen.

Hoffentlich gibt es bei diesem Cottage keinen Schlamm und keine Schlaglöcher. Und keine Himbeersträucher. Ein englischer Rentner bekam Besuch von einem Mitarbeiter der Royal Mail und einem Gewerkschaftsvertreter, die den Strauch neben seinem Briefkasten inspizierten. Eine Botin hatte sich beschwert - dabei hat diese Sorte keine Dornen. Der Rentner musste den Strauch trotzdem kappen. Bewohner einer Straße in Süd-London wurden nicht mehr beliefert, weil zu viele Ratten auf ihrer Straße herumliefen. Das wollte Royal Mail den Boten nicht zumuten.

Der börsennotierte Konzern ist um das Wohl seiner Angestellten also sehr besorgt. Gut so. Doch als strahlendes Vorbild für Ausdauer und unbedingtes Pflichtbewusstsein taugt der Postbote in Großbritannien nun nicht mehr: ein weiterer Berufsstand, der die Erwartungen der Briten enttäuscht. Wie zuvor schon die Banker. Die Finanzbranche ist eine Säule der britischen Wirtschaft, und der Banker mit dem Bowler-Hut galt früher als Inbegriff des Gentleman. Nach Finanzkrise und vielen Skandalen ist von dieser Hochachtung nichts mehr übrig.

Manche Länder feiern Handwerker als Vorbilder für Arbeitsethik. Auf die Idee käme in Großbritannien niemand; die heimischen Handwerker haben sich einen Ruf für ihre Unzuverlässigkeit hart erarbeitet. Zum Glück gibt es da noch die Queen: Sie ist 90, absolviert aber weiterhin vorbildlich fleißig, zuverlässig und pflichtbewusst ihre Termine.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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