GroßbritannienTräume von vorgestern

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Ein Zoll sind 2,54 Zentimeter. Dass es sich lohnt, hier genau umzurechnen, haben US-Wissenschaftler bei einem Totalschaden einer Sonde auf dem Mars erlebt.
Ein Zoll sind 2,54 Zentimeter. Dass es sich lohnt, hier genau umzurechnen, haben US-Wissenschaftler bei einem Totalschaden einer Sonde auf dem Mars erlebt. (Foto: Thomas Imo/imago/photothek)

Fahrenheit und Zoll sind Vermächtnisse der Kolonialmacht Großbritannien. Boris Johnson hätte sie gerne zurück.

Von Christian Zaschke

Anfang dieser Woche hat New York einen kurzen Vorgeschmack darauf gegeben, wie der Sommer wieder werden wird. Wenn man das Haus verließ, fühlte es sich an, als werde einem ein heißer, nasser Schwamm ins Gesicht gedrückt, die Temperatur betrug auch abends noch 34 Grad. Wobei: Natürlich könnte in den USA so gut wie niemand etwas mit der Aussage anfangen, dass die Temperatur 34 Grad betragen habe, weil im Land nicht in Celsius, sondern in Fahrenheit gemessen wird. Also hatte es an jenem Abend 93,2 Grad.

Wie sich das errechnet? Man zieht vom Wert in Fahrenheit 32 ab, teilt das Ergebnis durch 1,8, und schon erhält man den Wert in Celsius. Der Gefrierpunkt liegt in Fahrenheit bei 32, der Punkt, an dem Wasser kocht, bei 212. Das System ist so unpraktisch, dass selbst die Briten, die es über den Globus verbreitet hatten, es 1962 endgültig abschafften. Außerhalb der USA wird Fahrenheit lediglich auf den Bahamas, den Cayman- und den Marshall-Inseln benutzt, sowie in Liberia, Mikronesien und Palau.

Die Kolonialmacht Großbritannien hatte der Welt nicht nur die Maßeinheit Fahrenheit beschert, sondern auch Längenmaße wie Zoll, Fuß und Yard, Gewichtsmaße wie Unze, Pfund und Stein und allerlei mehr. Heute benutzt das Gros der Welt das metrische System. Auch in Großbritannien dominiert es, mit einigen Ausnahmen. Zum Beispiel bestellt man sein Bier im Pub in einem Pintglas, das 0,568 Liter fasst, Entfernungen werden in Meilen (1,608 km) angegeben, Körpergrößen in Fuß (30,48 cm) und Zoll (2,54 cm).

Die Regierung des britischen Premierminister Boris Johnson erklärte am Freitag, sie werde untersuchen lassen, ob man die alten Maße nicht wieder einführen könne. Es ist ein unsinniger Vorschlag, weil beide Systeme im Vereinigten Königreich eine friedliche Koexistenz führen, aber Johnson wusste, dass er damit Teile der konservativen Klientel, die für den Brexit gestimmt hat, begeistern kann. Das liegt auch daran, dass die alten Maße als "imperial units" bekannt sind, als imperiale Einheiten, was manche Briten an die Tage erinnert, als auf dem Gebiet des Kolonialreichs die Sonne niemals unterging.

Die USA nutzen im Prinzip jenes imperiale System, nach dem sich Premier Johnson sehnt, allerdings haben sie es hier und da ein wenig modifiziert beziehungsweise, wie sie wohl selbst sagen würden, verbessert. So enthält ein Pintglas lediglich 0,473 Liter, was 16 Flüssigunzen entspricht. Eine normale Tüte Milch enthält 32 Flüssigunzen, beziehungsweise ein Quart. Der Benzinpreis wird pro Gallone angegeben. Das sind, na klar, vier Quart. Ein Versuch des Kongresses, aufs metrische System umzusteigen, scheiterte in den 1970er-Jahren an massiven Protesten der Bevölkerung.

Hingegen nutzen weite Teile der US-Wissenschaft das metrische System, um einfacher mit dem Rest der Welt kommunizieren zu können, und dass dieses Nebeneinander der Maße nicht immer ohne Probleme abläuft, zeigte sich im September 1999. Damals zerschellte eine 125 Millionen Dollar teure Marssonde nach zehn Monaten Flugzeit auf dem Roten Planeten, weil die Wissenschaftler sowohl im imperialen als auch im metrischen System gerechnet und es anschließend versäumt hatten, die Ergebnisse zu vereinheitlichen.

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