Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Tony Blair wirbt vehement für zweites Brexit-Referendum

  • Der frühere britische Premier Blair hält den Brexit für einen historischen Fehler.
  • Er macht sich dafür stark, dass die Briten erneut über den Austritt aus der EU abstimmen dürfen.
  • Zunächst muss er allerdings seine eigene Labour-Partei vom Anti-Brexit-Kurs überzeugen. Blair wirft ihr vor, "den Kuchen behalten und zugleich essen" zu wollen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Tony Blair ist höchst unpopulär in Großbritannien. Der Mann, der drei Wahlen gewonnen, das Königreich ein Jahrzehnt lang regiert, New Labour erfunden hat und Europas Sozialdemokratie auf dem "Dritten Weg" vorausgegangen ist, gilt, auch in der eigenen Partei, als eitler Geck von zweifelhafter Glaubwürdigkeit, der seiner eigenen Bedeutung nachhängt.

Sein Name ist untrennbar mit dem Desaster des Irak-Krieges verbunden, in den er sein Land 2003 hineinritt; eine Untersuchungskommission attestierte ihm vor zwei Jahren, die Bevölkerung damals hintergangen und eine fatale Allianz mit den USA eingegangen zu sein.

Deshalb hat es eine gewisse Schadenfreude ausgelöst, als, neben vielen anderen sagenhaften Details aus Michael Wolffs Buch "Fire and Fury", zu lesen war, Blair habe sich ausgerechnet Donald Trump als Nahost-Vermittler angedient; der US-Präsident zog bekanntlich den eigenen Schwiegersohn für diese schwierige Mission vor - und Blair dementierte umgehend: Diese ganze Geschichte sei erstunken und erlogen.

Andererseits bedauern auch eingefleischte Blair-Gegner, dass sein Image so schlecht ist. Denn der Ex-Premier wäre ein wichtiger Verbündeter vieler Linker in einem innenpolitischen Kampf, der mit dem neuen Jahr in eine neue Runde geht: dem Ringen um eine Abkehr vom Brexit. Seit dem Austritts-Referendum ist Blair engagierter Befürworter eines Verbleibs in der EU; er hält den Brexit für einen historischen Fehler und den Kurs der Tory-Regierung unter Theresa May für fatal.

Sein Think Tank "Institute for Global Change" analysiert die Verhandlungen mit Brüssel kontinuierlich. Zum Jahreswechsel erschien das Dossier "What we know now" (Was wir bisher wissen); parallel dazu hat sich Blair, und das beileibe nicht zum ersten Mal, vehement für eine Revision des Beschlusses ausgesprochen.

"2018 ist das Jahr, in dem sich das Schicksal des Brexit und damit Großbritanniens entscheidet", so Blair. "2017 war es dafür zu früh in den Verhandlungen. 2019 wird es zu spät sein." Er erkenne das Ergebnis von 2016 an, betont der Politiker, aber ein Volk habe das Recht, sich im Lichte neuer Fakten und Erkenntnisse zu entscheiden. So funktioniere Demokratie. Blair wirbt daher für ein zweites Referendum.

Blair warnt Labour vor "Taktik der Ambivalenz"

Mit dieser Botschaft ging er kurz nach Neujahr auch ins Radio, er schickte sie über zahlreiche internationale Zeitungen in die Welt, aber sein Ziel ist auch und vor allem die eigene Partei. Denn Labour-Chef Jeremy Corbyn, eminent populär bei den eigenen Leuten, seit die Sozialisten bei den letzten Wahlen massiv zulegten, ist in Sachen Brexit ein Zauderer. Ihm wird nachgesagt, den EU-Austritt zu favorisieren, weil Labour, einmal an der Macht, dann leichter Unternehmen renationalisieren, Staatsbetriebe subventionieren und Schulden aufnehmen könnte.

Öffentlich hat sich Corbyn nie eindeutig geäußert, wohl auch, weil seine Partei in der Brexit-Frage tief gespalten ist. Zuletzt immerhin hatte sich Corbyn für eine Übergangsphase nach 2019 ausgesprochen - und vage auch für den Verbleib im gemeinsamen Markt.

Blair warnt nun seine Partei: Diese wolle "den Kuchen behalten und zugleich essen", wolle die Vorteile der EU, aber stelle sich nicht klar gegen den Austritt. Die "Taktik der Ambivalenz" sei "ein Fehler".

Wenn es zum Brexit und womöglich zu einer Labour-Regierung komme, werde Corbyn seine Wahlversprechen, unter anderem aus Geldmangel, schwer umsetzen können. Denn das Königreich werde mit den Brexit-Folgen kämpfen, anstatt Gesundheitssystem und Arbeitsmarkt zu reformieren. Labour müsse also, so Blair, eine klare Anti-Brexit-Haltung beziehen und laut ein zweites Referendum fordern. So wie er selbst.

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SZ vom 08.01.2018/gal
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