Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Supreme Court verhandelt über Parlamentspause

Der oberste britische Gerichtshof soll entscheiden, ob Premier Boris Johnson gegen die Verfassung verstoßen hat.

Von Cathrin Kahlweit, London

Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens verhandelt seit Dienstag über die Frage, ob die von der Regierung verordnete fünfwöchige Zwangspause für das Unterhaus rechtmäßig ist. Zuvor hatte ein schottisches Gericht dies verneint, ein Londoner Gericht hatte hingegen geurteilt, dies sei keine juristische Frage. Die Präsidentin des Gerichtshofs, Brenda Hale, betonte zu Beginn der auf mindestens drei Tage angesetzten Verhandlung, das Gericht entscheide nicht darüber, ob es den Brexit geben werde. Die Tatsache, dass zwei Vorinstanzen zu zwei unterschiedlichen Urteilen gekommen seien, so Hale, zeige, wie komplex die Fragestellung sei.

Das Unterhaus war mit der Begründung bis zum 14. Oktober geschlossen worden, dass Downing Street die Zeit brauche, um eine Regierungserklärung vorzubereiten. Abgeordnete argumentieren, Johnson habe das Unterhaus ausschalten wollen, um einen No Deal durchzusetzen.

Der Anwalt der Kläger, David Pannick, argumentierte, bei der Zwangsschließung, Prorogation genannt, handele es sich eindeutig um eine juristische Frage. Premier Boris Johnson habe das Parlament zu einer ungewöhnlich langen Schließung verdammt, damit es seine Brexit-Politik nicht hinterfragen und kontrollieren könne. Er zitierte dazu Interviews, in denen Johnson geklagt hatte, das Parlament unterminiere seine Verhandlungsposition in Brüssel. Pannick führte an, die Exekutive dürfe nicht aus unlauteren Gründen in das Handeln der Legislative eingreifen; Johnsons Schritt sei aber "improper" gewesen, ein unangemessenes Motiv habe dahintergestanden. Die Zwangspause stelle "die Grundlagen der Verfassung auf den Kopf". Richard Keen, Generalanwalt für Schottland, entgegnete für die Regierung, Gerichte hätten nicht das Recht, Vorgänge im Parlament zu hinterfragen. Auch sei die Behauptung unwahr, eine fünfwöchige Pause sei präzedenzlos; es habe schon früher ungewöhnliche Prorogationen gegeben.

Von der Entscheidung des Höchstgerichts, die frühestens für Freitag erwartet wird, könnte eine Signalwirkung für die Brexit-Verhandlungen ausgehen. Johnson hat schon eine Reihe von Niederlagen im Parlament erlitten. Sollte das Gericht entscheiden, dass die Prorogation ungesetzlich war, weil die Regierung damit das Parlament in einer entscheidenden Phase vor dem Austrittsdatum zum Schweigen bringen wollte, dann wäre die Autorität des Premierministers weiter beschädigt. Johnson hat allerdings bisher nicht zu erkennen gegeben, ob er in diesem Fall das Unterhaus zurückrufen würde. In einem BBC-Interview am Dienstag sagte er, man werde abwarten und das Urteil genau prüfen. Medien berichten, in Downing Street werde überlegt, das Unterhaus nach dem EU-Gipfel sogar ein zweites Mal in die Zwangspause zu schicken, falls es bis Mitte Oktober nicht zu einem Deal zwischen der EU und dem Königreich komme. In diesem Fall könnte Johnson versuchen, das Gesetz, das einen No Deal verhindern und eine Verschiebung des Brexits erzwingen soll, zu unterlaufen. Auch dazu wollte sich die Regierung bislang nicht äußern.

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SZ vom 18.09.2019
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