Das Dragonfly in Peterborough sei „ a nice place“, schrieb ein Gast, als das Dragonfly noch ein normales Hotel war. Der Blick von den Zimmern sei schön, schrieb ein anderer, und das Personal, das sei wirklich sehr freundlich. Insgesamt bekam das Dragonfly rund 140 Kilometer östlich von Birmingham sehr ordentliche Bewertungen auf den diversen Bewertungsportalen wie Tripadvisor, jedenfalls bis Oktober 2024. Seit November ist der Tonfall ein anderer. Jetzt stehen da Worte wie „shocking“, „horrible“ und „disgusting“, ekelhaft.
Man kann im Dragonfly zwar auch heute noch Zimmer als Urlauber buchen, der Großteil des Hotels aber ist belegt. Seit November vergangenen Jahres sind hier vor allem Asylsuchende und Geflüchtete untergebracht, 141 Männer, wie die Sunday Times schreibt, die das Hotel neulich besuchte. Hotels wie dieses in Mittelengland sind längst zu einem Symbol geworden für die verfehlte Migrationspolitik der Tories, die auch die Labour-Regierung bisher nicht korrigieren konnte.
Das kriminelle Handwerk der Schleuserbanden
Im Versuch, den Wählern gegenüber Entschlossenheit zu demonstrieren, tut Premierminister Keir Starmer nun, was er am besten kann: Er tauscht sich mit anderen Ländern aus. Am Montag eröffnete er einen internationalen Gipfel zum Thema irreguläre Migration, den „Organized Immigration Crime Summit“.
Minister aus mehr als 40 Ländern sind angereist, um im Lancaster House in der Innenstadt über Migration zu reden, unter ihnen auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Vor allem geht es um das kriminelle Handwerk von Schmugglerbanden und Schleusern, von denen Großbritannien besonders betroffen ist, wegen des Ärmelkanals und den Verzweifelten, die in Schlauchbooten nach England zu kommen versuchen. Die Schleuser heißen im Jargon der britischen Medien und Politiker „small boat gangs“.
Knapp 39 000 Flüchtlinge kamen im Jahr 2024 nach Zählung der Regierung auf irregulärem Weg im Vereinigten Königreich an, die allermeisten von ihnen in ebensolchen Schlauchbooten. Das sind deutlich weniger als in den beiden Vorjahren, aber weil viele Asylgesuche seit Jahren unbearbeitet im Bürokratie-Orbit verschwinden, steigt die Gesamtzahl der irregulär im Land Lebenden stetig.
Die Universität Oxford veröffentlichte im Januar eine Studie, in der zwar einschränkend darauf hingewiesen wurde, dass die Zahl der sogenannten „unerlaubt“ im Königreich lebenden Geflüchteten schwer genau zu benennen sei. Geschätzt liege sie jedoch bei bis zu 745 000. Das wäre sogar mehr als im Land auf Platz zwei in dieser Tabelle in Europa: Deutschland.
Bis 2029 will die britische Regierung 1,5 Millionen Häuser bauen
Weil die Unterkünfte im Vereinigten Königreich fehlen, hatte die Tory-Regierung damit begonnen, Verträge mit Hotelbetreibern abzuschließen, um dort Geflüchtete unterzubringen. Keir Starmer und seine Innenministerin Yvette Cooper versprachen bei Amtsantritt im vergangenen Sommer zwar, andere Wege zu finden. Bislang aber gestaltet sich das schwierig. Vergangene Woche erst veröffentlichte das „Office for Value for Money“ (OVfM) – ein von Starmers Regierung neu erschaffenes Büro, das die Staatsausgaben überwachen soll – eine Berechnung, wonach derzeit 38 000 Asylsuchende in Hotels untergebracht sind. Kosten: 5,5 Millionen Pfund, etwa 6,5 Millionen Euro. Pro Tag.
Bis 2029 will die britische Regierung 1,5 Millionen neue Häuser und Wohnungen gebaut haben, darunter auch ganze Städte. Mindestens so lange aber, schätzt das OVfM, werden Hotels noch als Unterkunft für Flüchtlinge genutzt werden müssen.
„Ich verstehe, dass Sie wütend sind“, schrieb Starmer in einem Gastbeitrag in der Daily Mail, womit er direkt jene Zielgruppe ansprach, die seine Labour-Partei traditionell verachtet. Er versprach, das Problem der irregulären Migration zu beheben, flankiert von einer Mitteilung zum Auftakt des Gipfels am Montag. Seit den Wahlen im Juli seien 24 000 Flüchtlinge abgeschoben worden, so viele wie seit acht Jahren nicht mehr.
Unter anderem in 46 Charterflügen nach Afrika, Asien, Europa und Südamerika habe man Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückgebracht. „Das Vereinigte Königreich war zu lange zu weich“, sagte Starmer, wörtlich „a soft touch“, was man auch mit „Weichei“ übersetzen könnte. Das höre nun auf, auch die von den Tories geerbten „schockierenden“ Zustände in der Verwaltung werde er beenden.
Die Mitte-rechts-Rhetorik des Mitte-links-Premierministers dürfte in engem Zusammenhang mit ein paar anderen Zahlen stehen. Die britische Wirtschaft kommt nicht in die Gänge, und eine Milliardenrechnung für Flüchtlingshotels hilft eher nicht, um die Wähler zu beruhigen. Den Umgang der Labour-Regierung mit den Finanzen bewerteten in einer YouGov-Umfrage kürzlich 81 Prozent der Briten als „schlecht“, so mies war der Wert zuletzt im September 2022. Damals hieß die Premierministerin Liz Truss.