Großbritannien:Spur nach Moskau

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Boris Johnson beim Wahlkampf in Wales. (Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP)

Der Wahlkampf wird von der Frage überlagert, wie groß Russlands Einfluss ist. Moskau hatte versucht, das Brexit-Referendum zu beeinflussen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Der britische Wahlkampf hat mit kleinen und großen Skandalen begonnen. Zahlreiche Bewerber mussten ihre Kandidaturen zurückziehen - einer hatte zum Beatles-Song "Hey Jude" "Hey Jews" getextet, einer hatte einen Konkurrenten nach dem jüdischen Geldverleiher "Shylock" aus einem Shakespeare-Stück genannt, es gab Vorwürfe wegen sexueller Belästigung und Homophobie. Boris Johnson wird vorgeworfen, über die Folgen für Nordirland, die aus seinem Deal mit Brüssel resultieren würden, gelogen zu haben.

Und dann gibt es noch zwei Untersuchungen, die dem Premier und damit den Tories gefährlich werden können. Ein Skandal ist praktischerweise vor der Wahl vom Tisch: Der Observer berichtet, die Londoner Polizei wolle, völlig überraschend, ihre Entscheidung erst nach der Wahl verkünden, ob sie Ermittlungen über Johnsons Beziehungen zu der US-Unternehmerin Jennifer Arcuri wegen des Vorwurfs eines massiven Interessenkonflikts aufnimmt. Labour vermutet eine politische Absprache zugunsten des Premiers, die Liberaldemokraten stellen die Unabhängigkeit der zuständigen Polizeibehörde in Frage. Aber: Zumindest an dieser Front, so scheint es, hat Johnson vorerst Ruhe.

Das gilt nicht für die zweite Untersuchung, die eigentlich längst abgeschlossen ist, aber Johnson jetzt neuen Ärger bereitet. Das Parlamentskomitee für Geheimdienste und Sicherheit (ISC) hatte einen Bericht zum Einfluss Russlands auf das Brexit-Referendum und die Wahl 2017 vorgelegt. Der Bericht war bereits von den zuständigen Sicherheitsbehörden auf die Preisgabe möglicher Staatsgeheimnisse hin geprüft und abgenickt worden. Zuletzt lag er in der Downing Street. Aber die verschleppte die Freigabe bis zur Auflösung des Unterhauses für den Wahlkampf; jetzt wird der Bericht wohl erst im kommenden Jahr veröffentlicht.

Es steht zu vermuten, dass die Tory-Regierung eine Debatte darüber vermeiden wollte, wie viel Einfluss russische Oligarchen und russisches Geld auf die britische Politik haben. Denn dazu soll sich, heißt es, einiges in dem Parlamentsreport finden. Diese Causa ist deshalb so sensibel, weil durch Recherchen zahlreicher britischer Medien, durch Ermittlungen der britischen Polizei und Prüfungen des Unterhauses in den vergangenen Jahren bereits belegt werden konnte, dass es sehr wohl den Versuch der Einflussnahme Moskaus auf das Referendum und die letzte Parlamentswahl gab. Fraglich ist eigentlich nur noch, ob und wie sich das auf die jeweiligen Ergebnisse ausgewirkt haben könnte.

Unter den Spendern sollen auch Oligarchen sein, zu denen Premier Johnson gute Kontakte pflegt

Die vielfach preisgekrönte Guardian-Journalistin Carole Cadwalladr etwa hatte in mehr als einjähriger Arbeit die engen Beziehungen zwischen der Leave-Kampagne, deren größtem Geldgeber Arron Banks, dem russischen Botschafter in London als Emissär Moskaus und der verrufenen Datensammelfirma Cambridge Analytica nachgewiesen. Zudem konnte gezeigt werden, dass russische Trollfabriken massiv in das Referendum und die Wahl 2017 eingegriffen haben. Nach der Volksabstimmung untersuchten die britische Wahlkommission, das Unterhaus-Komitee für Kultur und Digitales sowie der Geheimdienstausschuss ISC ganz konkret russische Interventionen in die Politik Großbritanniens. Folge war, unter anderem, die Verhängung einer Geldstrafe von 70 000 Pfund, welche die Leave-EU-Kampagne wegen des Verstoßes gegen das britische Wahlfinanzierungsgesetz zahlen musste. Gegen Banks, den Millionär und Finanzier der Austrittskampagne, der im aktuellen Wahlkampf Boris Johnson unterstützt, wird immer noch ermittelt.

Nun macht die Sunday Times Schlagzeilen mit der Überschrift "Russische Tory-Spender namentlich in dem Geheimreport genannt". Neun Großspender, heißt es, würden in dem Parlamentsbericht, den Downing Street zurückhält, genannt, die der konservativen Partei in den vergangenen Jahren Gelder in Millionenhöhe zukommen ließen. Einige sind oder waren Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin. So spendete Alexander Temerko, der enge Beziehungen zum Moskauer Verteidigungsministerium haben soll, nach Times-Informationen mehr als 1,2 Millionen Pfund in sieben Jahren. Nach Angaben von Insidern, auf die sich das Blatt beruft, sollen unter den Spendern auch russische Oligarchen sein, zu denen Johnson gute Beziehungen pflegt. So soll Evgenij Lebedev, Sohn des Millionärs und Besitzers des Evening Standard, Alexander Lebedev, Johnson in dessen Zeit als Außenminister auch mehrmals auf das Familienschloss in Italien eingeladen haben. Die Opposition drängt nun umso mehr auf die Freigabe des Reports - und zudem auf Informationen über Johnson-Berater Dominic Cummings. Ihm werden, nach einem dreijährigen Aufenthalt in Moskau in den 1990er-Jahren, gute Beziehungen nach Russland nachgesagt.

© SZ vom 11.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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