Großbritannien:Vom Sohn eines Busfahrers zu Londons neuem Bürgermeister

London Mayoral election 2016

Sadiq Khan (r) vor Zac Goldsmith (l.): "Ich bin ein Londoner, ein Europäer, ich bin britisch, ich bin englisch, ich bin islamischen Glaubens, asiatischer Abstammung, pakistanischer Abstammung, ein Vater, ein Ehemann"

(Foto: dpa)
  • Der Muslim Sadiq Khan hat die Bürgermeisterwahl in London für sich entschieden.
  • Sein Konkurrent von den Konservativen, Zac Goldsmith, hatte versucht, Khans Glauben für sich zu nutzen. Er warf ihm vor, sich mit muslimischen Extremisten abzugeben.
  • Khan gilt als liberal - das wiederum wurde ihm von anderer Seite angekreidet.

Der 45-Jährige Labour-Politiker will "ein Bürgermeister für alle Londoner" sein. Nach seinem klaren Sieg über den konservativen Kandidaten Zac Goldsmith wurde Sadiq Khan am Samstag offiziell ins Amt eingeführt. Die feierliche Vereidigung fand in der Southwark Cathedral in der britischen Hauptstadt statt. Zuvor hatte er in seiner Dankesrede in der Nacht Bezug auf den mit harten Bandagen geführten Wahlkampf genommen, in dem die Konservativen ihm Sympathien für islamische Extremisten unterstellt hatten. "London hat für die Hoffnung und gegen die Furcht, für die Einheit und gegen die Spaltung gestimmt", sagte er. Das mache ihn stolz. "Furcht macht uns nicht sicherer, sie macht uns nur schwächer", sagte er.

Bei Khans Siegesrede waren auch die Kandidaten der anderen Parteien auf der Bühne. Der Kandidat der rechtsgerichteten Partei Britain First, Paul Golding, drehte ihm demonstrativ den Rücken zu. "Ich hätte es nicht im Traum für möglich gehalten, dass jemand wie ich zum Bürgermeister von London gewählt werden könnte", sagte Khan weiter. Er bedankte sich bei allen Wählern, die "das Unmögliche heute möglich gemacht haben".

Khan hat eine klassische Aufsteigerbiographie: Geboren wurde er 1970 als Sohn eines aus Pakistan zugewanderten Busfahrers und einer Näherin. Zusammen mit sieben Geschwistern wuchs er in einer Sozialwohnung auf. Nach dem Studium arbeitete er drei Jahre als Rechtsanwalt für eine britische Menschenrechtsgruppe. 2005 wählten ihn die Bürger in seinem Heimatviertel per Direktwahl zum Abgeordneten. Drei Jahre später wurde er unter Labour-Premierminister Gordon Brown Verkehrsminister, und erregte Aufsehen, als er bei der obligatorischen Vereidigung zum Geheimrat im Buckingham Palace seinen Eid nicht auf eine Bibel, sondern auf einen Koran ablegte. Er war der erste Muslim in einer britischen Regierung.

Khan tritt nun die Nachfolge des populären Konservativen Boris Johnson an, dem Ambitionen auf das Amt des Premierministers nachgesagt werden. Khans Gegner im Wahlkampf war der Konservative Goldsmith: ein Multimillionär, der einer reichen Investorenfamilie entstammt. Dem Endergebnis zufolge erhielt er rund 1,31 Millionen Stimmen, auf Goldsmith entfielen rund 995.000 Stimmen.

Jetzt hat der Sozialdemokrat die Bürgermeisterwahl in London gewonnen und wird damit der erste muslimische Bürgermeister einer europäischen Hauptstadt. 1,3 Millionen Londoner machten ihr Kreuz hinter seinen Namen. Khan erreichte damit 56,8 Prozent der Stimmen, während der konservative Kandidat Zac Goldsmith nur auf 43,2 Prozent kam. Die Wahlbeteiligung lag bei 45,6 Prozent. Neun der 14 Londoner Wahlkreise gewann Labour. Fünf gewannen die Konservativen.

In Großbritannien leben etwa drei Millionen Muslime, jeder achte Londoner ist Muslim. Während des Wahlkampfs verschwieg Khan seinen Glauben nicht, betonte aber, dass sein Glaube nur einer von vielen Dingen sei, die ihn ausmachten: "Ich bin ein Londoner, ein Europäer, ich bin britisch, ich bin englisch, ich bin islamischen Glaubens, asiatischer Abstammung, pakistanischer Abstammung, ein Vater, ein Ehemann", sagte er. Khan ist mit einer Anwaltskollegin verheiratet und hat zwei Töchter im Teenager-Alter.

"Kann es nicht erwarten, mit dir ein gerechteres London für alle zu schaffen"

Sowohl sein konservativer Rivale um das Bürgermeisteramt, als auch Premierminister David Cameron trugen den Vorwurf angeblicher Verbindungen zu Islamisten gebetsmühlenhaft vor. Beide warfen dem Rivalen vor, islamistischen Extremisten "Plattformen, Sauerstoff und sogar Schutz" zu geben. Khan dagegen bezeichnete sich stets als "britischen Muslim, der den Kampf gegen die Extremisten aufnimmt". Er warf dem 41-jährigen Goldsmith, einem wohlhabenden Umweltschutzaktivisten, vor, die Wählerschaft in einer der multikulturellsten Städte der Welt spalten zu wollen.

Khan gilt als liberal und hatte Morddrohungen von Islamisten erhalten, nachdem er im britischen Parlament für die gleichgeschlechtliche Ehe gestimmt hatte.

Obwohl Khan linke Positionen vertritt, will er nach eigener Aussage "der wirtschaftsfreundlichste Bürgermeister von London" werden. Er versprach den Wählern, mehr in bezahlbare Wohnungen zu investieren und die Kosten für den Nahverkehr einzufrieren.

Labour-Chef Jeremy Corbyn schrieb seine Glückwünsche auf Twitter: "Kann es gar nicht erwarten, mit dir ein gerechteres London für alle zu schaffen." Offiziell unterstützt Kahn seinen linken Parteichef, hält aber auch immer ein bisschen Distanz zu ihm. Als vor allem Politiker des linken Parteiflügels kurz vor der Wahl in eine Antisemitismus-Debatte schlitterten, sparte Khan nicht an Kritik. Rasch verurteilte er umstrittene Äußerungen des ehemaligen Londoner Bürgermeister Ken Livingstone, Hitler habe zeitweise den Zionismus unterstützt.

"Mitkämpfer für bezahlbaren Wohnraum"

Rund um die Welt trafen bei ihm Gratulationen ein. Seine Pariser Amtskollegin, Anne Hidalgo, schrieb per Twitter: "Gratulation an Sadiq Khan. Ich bin überzeugt, dass die Londoner von seinem Humanismus und seiner Fortschrittlichkeit profitieren werden". Der französische Premierminister Manuel Valls beglückwünschte Khan zu seinem "herausragenden Sieg". New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio schrieb: "Glückwünsche an Londons neuen Bürgermeister und Mitkämpfer für bezahlbaren Wohnraum. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit."

Auch vom politischen Gegner kamen Glückwünsche. Der konservative britische Wirtschaftsminister Sajid Javid, der wie Khan auch pakistanischer Abstammung ist, twitterte: "Von einem Sohn eines pakistanischen Busfahrers zum anderen: Glückwunsch."

Selbst die Schwester des unterlegenen Tory-Kandidaten, Jemima Goldsmith gratulierte Khan. Er sei "ein großartiges Vorbild für junge Muslime", schrieb die Ex-Frau des pakistanischen Cricket-Stars Imran Khan auf Twitter. Gleichzeitig äußerte sie Kritik an dem Wahlkampf ihres Bruders. "Traurig, dass Zacs Wahlkampf ihn nicht so widerspiegelte, wie ich ihn kenne: umweltfreundlich, unabhängig im Denken und ein Politiker mit Integrität."

Die französische Regionalzeitung La Montagne kommentierte: "Die Wahl Sadiq Khans, eines muslimischen Labour-Politikers, zum Bürgermeister von London spiegelt die Metamorphose einer Hauptstadt wider. London ist zu einer kosmopolitischen, offenen, kreativen, dabei für religiöse und kommunitaristische Spannungen nicht sehr empfänglichen Stadt geworden. London bringt die Hoffnung auf Emanzipation zum Ausdruck wie einst der Amerikanische Traum."

Und die Regionalzeitung La Nouvelle République du Centre-Ouest schrieb nüchterner: "Ein Labour-Politiker löst einen Konservativen ab. Daran ist nichts ungewöhnlich. Sadiq Khan ist ein Vorortkind, ernst und arbeitsam. Er tritt in die Fußstapfen eines Mannes aus bürgerlichen Verhältnissen. Khan ist Muslim. Das ist neu. Daraus hat er kein Programm gemacht. In Frankreich wäre eine solche Wahl undenkbar gewesen."

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