Süddeutsche Zeitung

Boris Johnson:Beleidigungen, Rüpeleien, Irritationen

Der künftige britische Premier hat schon eine Reihe von Ämtern ausgeübt - aber aufgefallen ist er weniger durch inhaltliche Arbeit als durch verbale Ausfälle.

Von Anika Blatz und Oliver Das Gupta

"Meine Chancen darauf, britischer Premier zu werden, stehen in etwa so gut wie die, von einem Frisbee enthauptet zu werden oder als Olive oder Elvis wiedergeboren zu werden", sagte Boris Johnson vor Jahren der britischen Zeitung Independent. Damals war der Mann mit den wuscheligen blonden Haaren noch Publizist und Herausgeber des konservativen Nachrichtenmagazins The Spectator. Wenig später begann sein politischer Aufstieg. Johnson wurde Abgeordneter des britischen Unterhauses für die Konservativen, Bürgermeister von London und schließlich Außenminister. Nun sind, nach Johnsons früheren Worten, die Chancen deutlich gestiegen, dass er als Olive wiedergeboren wird.

Eine Mehrheit der 160 000 Tory-Mitglieder hat ihn in einer Urabstimmung zum Parteichef gewählt. Mit dem Vorsitz geht bei den beiden großen britischen Parteien Labour und den Konservativen traditionell noch ein anderer Job einher, sofern man die meisten Abgeordneten im Unterhaus stellt: das Amt des Premierministers. Momentan sind das die Tories, was bedeutet, dass Johnson statt der glücklosen Theresa May in No. 10 Downing Street einziehen wird. Dieser Boris Johnson sollte dann den Austritt seines Landes aus der Europäischen Union managen, den Brexit.

Johnson ist aber nicht irgendein Politiker. Er ist nicht nur für exzentrische Auftritte und allerlei Peinlichkeiten berüchtigt, sondern auch als einer, dem es - vorsichtig formuliert - leicht fällt, Dinge zu erzählen, die offenkundig nicht stimmen. Einer, der sich seit vielen Jahren durchs Leben rüpelt, einer, der andere britische Politiker, aber auch ausländische Staats- und Regierungschefs beleidigt. Die Liste seiner Auftritte, die zu Fehltritten gerieten, ist dementsprechend lang. Eine Auswahl:

Falsche Angaben beim Brexit. Boris Johnson behauptet vor dem Brexit-Referendum, für die EU-Mitgliedschaft zahle Großbritannien jede Woche 350 Millionen Pfund (rund 400 Millionen Euro) an die EU. Das Geld solle man lieber einsparen und in das staatliche Gesundheitssystem NHS stecken. Die Aussage ist eines der zentralen Wahlversprechen der Brexit-Kampagne. Bald stellt sich heraus, dass die Angabe nicht stimmt, die Summe stattdessen weitaus niedriger ist und London überdies einen großen Teil seiner Beiträge ohnehin zurückerhält. Sogar der Chef der britischen Überwachungsbehörde für öffentliche Statistiken schaltet sich ein und wirft Johnson vor, öffentliche Statistiken für seine Zwecke zu missbrauchen.

Europäische Union - für Johnson eine Gefahr wie Hitler. Während der Brexit-Kampagne unterstellt Johnson Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker "Betrügerei". Er wirft der EU vor, einen europäischen Superstaat gründen zu wollen. Um seiner Warnung größeren Nachdruck zu verleihen, vergleicht Johnson die EU mit Napoleon und Hitler. Denn auch die hätten ja versucht, Macht über ganz Europa zu erlangen, so lautet Johnsons Logik.

Abfällige Frotzeleien über Afrika. Die Zeit, als London über ein globales Kolonialreich herrschte, sind zwar längst vorbei, die früheren Kolonien sind nur noch lose durch das Commonwealth verbunden. Johnson aber pflegt nach wie vor koloniale Attitüden. 2002 sagt er in einer vom Telegraph veröffentlichten Kolumne, die Queen würde auch deshalb das Commonwealth lieben, weil ihr "Piccaninnies" - auf Deutsch in etwa "Negerkinder" - zujubelten. Dies war als Frotzelei an den damaligen Premier Tony Blair angesichts seiner anstehenden Afrika-Reise gerichtet. Weiterhin sagte er in Blairs Richtung: "Die Heiden werden aufhören, menschliches Fleisch zu hacken und die Stammeskrieger werden ihr Wassermelonen-Lächeln aufsetzen, um den großen weißen Chef zu sehen."

Untergriffigkeiten gegen Angela Merkel und Recep Tayyip Erdoğan. Johnson hat deutsche Vorfahren und unter anderem einen türkischen Urgroßvater, der im Osmanischen Reich Minister war. Einmal sagt er sogar, er sei "Türke". Das hält ihn aber keineswegs davon ab, die deutsche Kanzlerin und den türkischen Staatspräsidenten hart anzugehen. Die Erlaubnis Merkels, gegen Jan Böhmermann wegen seines Schmähgedichtes auf Recep Tayyip Erdoğan zu ermitteln, nennt er "widerlich". Johnson dichtet ein paar eigene Verse auf Erdoğan und eine Ziege. Darin kreiert er aus den Worten "wanderer" und "wanker" (zu Deutsch: Wichser) den Begriff "wankerer". So reimt es sich auf den Namen der türkischen Hauptstadt Ankara.

Verbalattacke auf Donald Trump. Als der jetzige US-Präsident Donald Trump London als eine gefährliche Stadt bezeichnet, hält ihm Johnson als Bürgermeister vor, "völligen Blödsinn" zu verbreiten. Er meide einige Teile New Yorks, "weil dort das Risiko besteht, Donald Trump zu treffen".

Leichtfertige Äußerung mit Folgen (I). In einem Radiointerview im Frühjahr 2018 sagt Johnson im Zusammenhang mit dem Giftanschlag auf den in Großbritannien lebenden russischen Ex-Spion Sergei Skripal, dass das verwendete Gift "ohne Zweifel" aus Russland stamme. Tatsächlich hatten britische Experten anhand der chemischen Zusammensetzung des Giftes lediglich festgestellt, dass es einem in der früheren Sowjetunion entwickelten Gift gleicht. Die Angriffsfläche, die Johnson da leichtfertig fabriziert, erkennt man in Moskau sofort. Für die Russen bietet die Formulierung Johnsons Anlass, öffentlich an der korrekten Ermittlungstätigkeit und Redlichkeit der Briten zu zweifeln.

Putin als Harry-Potter-Figur. Auch der russische Präsident bekam von Johnson schon sein Fett weg. Über den russischen Präsidenten sagte er in einer von ihm im Jahre 2015 verfassten Kolumne er sähe aus wie Dobby, der Hauself - eine Figur aus Harry Potter. Davon abgesehen sei er ein gewissenloser und manipulativer Tyrann.

Gravierende Wissenslücken beim Brexit-Plan. Auch im kürzlich mit der BBC geführten Interview kommt es zu einem peinlichen Patzer, als sich seine Unkenntnis in Sachen Brexit-Plan offenbart. Johnson will sein Land am 31. Oktober aus der EU führen, "komme, was wolle". Sollte die EU bis dahin nicht auf seine Forderungen zu Änderungen am Brexit-Abkommen eingehen, will er notfalls ohne Deal aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. Die damit verbundenen negativen Konsequenzen für die Wirtschaft könnten dann durch Artikel 24, Paragraf 5b des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) abgefedert werden, so Johnson. Die Bestimmung ermögliche Großbritannien bis zum Abschluss eines neuen Freihandelsabkommens die Fortdauer der bisherigen Handelsregeln.

Die Frage des Journalisten, ob er auch wisse, was in Paragraf 5c stehe, verneint Johnson. Darin stehe, belehrt ihn der Journalist, dass "man nicht nur die Zustimmung der EU braucht, sondern man muss sich auch auf die Umrisse eines künftigen Handelsabkommens einigen und den Zeitplan, um das zu erreichen". Auf die daran anschließende Frage, warum sich Brüssel darauf einlassen sollte, hat Johnson keine überzeugende Antwort. Die Sorgen der Wirtschaft vor einem Brexit ohne Abkommen, kommentiert Johnson ein andermal mit: "Fuck business" ("Scheiß auf die Wirtschaft").

Leichtfertige Äußerung mit Folgen (II). Als die Journalistin Nazanin Zaghari-Ratcliffe im Sommer 2016 wegen des Vorwurfs, einen Lehrgang für Journalisten geleitet zu haben, in Iran festgenommen und inhaftiert wird, gibt sie an, ihre Großeltern in Iran besucht zu haben. Doch Johnson widerspricht der britischen Staatsbürgerin mit einer leichtfertigen Äußerung. In einer Stellungnahme sagt der damalige Außenminister, Zaghari-Ratcliffe habe doch nichts getan außer Journalisten ausgebildet. Die Äußerung wird seitens Iran als Eingeständnis gewertet. Die Freilassungsbemühungen scheitern. Bis heute sitzt Zaghari-Ratcliffe im Gefängnis. Ihre Haftstrafe dauert bis voraussichtlich 2021. Boris Johnson behauptet später öffentlich, sein Fehler sei ohne Folge geblieben.

China kleingeredet. Bereits 2005 düpiert er die chinesische Regierung im Telegraph: Verglichen mit dem alten britischen Empire und dem neuen amerikanischen Imperium sei der kulturelle Einfluss Chinas "praktisch null" - und es sei "unwahrscheinlich, dass er zunehmen" werde. Am Ende der Olympischen Spiele von Peking 2008 bekommt Johnson als Bürgermeister der nächsten Spielstätte die olympische Flagge in die Hände. Er läuft damit durch das Stadion und schwenkt sie wie von Sinnen. Den chinesischen Gastgebern erklärt er, dass fast alle Sportarten von Briten erfunden worden seien - auch Tischtennis. China würde zu Unrecht die Urheberschaft beanspruchen.

Neuguinea als Menschenfresserland geschmäht. Mit Blick auf Intrigen innerhalb der Partei schreibt Johnson 2006: Die Tories seien zu einer Partei geworden, in der es "neuguineaartige Orgien, Kannibalismus und Häuptlingsmorde" gebe. Als sich die diplomatische Vertreterin des Staates Papua-Neuguinea in London beschwert, entschuldigt sich Johnson und nennt seine Inspirationsquelle: Ein Buch mit Fotos von Ureinwohnern auf Neuguinea - Bilder aus den fünfziger oder sechziger Jahren.

Die Ursache des Ersten Weltkrieges bagatellisiert. 100 Jahre nach Ausbruch des globalen Gemetzels gibt Johnson den Deutschen die alleinige Schuld am Kriegsausbruch. Damit nicht genug. Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger in Sarajevo und den anschließenden komplexen Dominoeffekt der Großmächte verkürzt Johnson auf einen einzigen Satz: "Warum musste man ein bisschen Remmidemmi in Sarajevo mit der Invasion Frankreichs beantworten, um Gottes Willen?"

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