Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Neue  Sanktionen

London bestraft Ausländer wegen Menschenrechtsverletzungen. Betroffen sind unter anderem Russen und Saudis.

Von Cathrin Kahlweit und Matthias Kolb, London/ Brüssel

Die britische Regierung wird an diesem Montag erstmals Ausländer wegen Menschenrechtsverletzungen nach einem neuen Sanktionsregime bestrafen. Die 49 Betroffenen, deren Vermögen eingefroren werden und die keine Visa für die Einreise ins Vereinigte Königreich mehr erhalten sollen, stammen nach Angaben des Außenamtes aus Russland, Saudi-Arabien, Myanmar und Nordkorea. Bei den zwei Saudis handelt es sich um Individuen, die an der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul im Oktober 2018 beteiligt gewesen sein sollen. Die 25 Russen, die auf der Liste stehen, sollen verantwortlich sein für die Misshandlung und den Tod des russischen Steueranwalts Sergej Magnitskij. Dieser hatte Beamten des russischen Innenministeriums Millionenbetrug vorgeworfen, bevor er unter dem Vorwurf des Steuerbetrugs festgenommen wurde und in Untersuchungshaft starb. Der US-Amerikaner Bill Browder, der den Anwalt in Moskau beschäftigt hatte und seither international für den Magnitsky Act kämpft, zeigte sich hoch erfreut. Es sei richtig, dass die ersten, die das Gesetz treffe, die "Mörder von Sergej Magnitskij" seien. Zudem listete die britische Regierung zwei Generäle aus Myanmar auf, die an der Vertreibung der Rohinya und anderer Minderheiten beteiligt gewesen sein sollen, sowie zwei Organisationen in Nordkorea, die Zwangsarbeit, Folter und Morde verantworten sollen. Raab, der früher selbst als Menschenrechtsanwalt tätig war, hält seit Jahren Kontakt zu Magnitskijs Witwe; er wollte Browder und sie nach Bekanntgabe der Sanktionsliste am Montag treffen. Im Außenamt sei man sich bewusst, hieß es, dass auf das Gesetz Klagen Betroffener folgen würden. Es müsse sichergestellt werden, dass die Maßnahmen nicht nur als "Bestrafung" verstanden würden, sondern zur Einhaltung von Menschenrechten führten. Die Opposition begrüßte Raabs Ankündigung, beklagte aber, dass mehrere konservative Regierungen die entsprechende Gesetzgebung über Jahre verschleppt hätten.

Das neue Sanktionsregime, das weltweit Anwendung finden soll und auf weitere Tatbestände ausgeweitet werden könnte, ist eine der ersten zentralen außenpolitischen Entscheidungen Großbritanniens nach dem Vollzug des Austritts aus der Europäischen Union. "Dies ist ein klares Beispiel dafür, wie das Vereinigte Königreich für das Gute in der Welt kämpfen und sich für die Menschenrechte einsetzen wird", sagte Raab der Financial Times. Es sei nicht hinnehmbar, dass Personen, die "Schmerzen verursachen und Leben unschuldiger Opfer zerstören" wollten, von den Vorzügen des britischen Wirtschaftssystems oder dem Leben auf der Insel profitieren würden. Das Gesetz richtet sich nicht gegen einzelne Länder, sondern gegen Individuen oder juristische Personen und soll, so die Hoffnung, abschreckend wirken. Laut Raab könnte das neue Regime im Laufe des Jahres auch auf Korruptionsfälle ausgedehnt werden.

London strebt in dieser Causa eine enge Kooperation mit Kanada, Australien, der Europäischen Union und den USA an. Washington hat ebenfalls einen "Global Magnitsky Act" beschlossen; zuletzt wurden im Januar Sanktionen gegen Taban Deng Gai, den ersten Vizepräsidenten Südsudans, verhängt. Man wolle "so eng wie möglich" mit der EU zusammenarbeiten, heißt es, ohne diese Absprachen aber in einem bilateralen Gremium zu bereden. Die 27 EU-Staaten arbeiten momentan daran, ihr eigenes Sanktionsregime für Menschenrechtsverletzungen zu erstellen. Die Außenminister hatten im Dezember einen Grundsatzbeschluss getroffen, und laut EU-Diplomaten erstellt der Europäische Auswärtige Dienst gerade den Gesetzestext, der bald vorliegen soll.

In einer Antwort an die Grünen-Bundestagsfraktion hatte das Auswärtige Amt Ende April versichert, sich "aktiv" und "mit Nachdruck" für eine zügige Verabschiedung einzusetzen. Mit genügend politischem Willen und Geschlossenheit, was angesichts des Einstimmigkeitsprinzips in der EU-Außenpolitik schwierig ist, könnten dann theoretisch auch Sanktionen gegen Chinesen verhängt werden, etwa wegen des Sicherheitsgesetzes in Hongkong. Dass London derzeit keine formalisierten Prozesse zur Koordination der Sanktionen eingehen will, beunruhigt Diplomaten in Brüssel jedoch nicht: "Die wollen zurzeit vor allem eins: ihr eigenes Ding machen."

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SZ vom 07.07.2020
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