Großbritannien nach der Wahl:Nick Almighty

Bei den Wahlen hat Parteichef Nick Clegg jäh enttäuscht - und doch stürzt er Premier Brown. Der Liberale ist derzeit der mächtigste Mann im Land.

Wolfgang Jaschensky

Der Wahlabend war eine kleine Katastrophe für Nick Clegg. Angesichts der tiefen Krise von Gordon Browns' Labour-Partei und seinen überzeugenden Auftritten bei den drei TV-Duellen hatten Parteifreunde darauf gehofft, zweitstärkste Kraft im Land zu werden. Das wäre ein sensationeller Erfolg gewesen für die Partei, die seit 88 Jahren nicht mehr an der Macht war.

Nick Clegg, Reuters

Clegg im Glück.

(Foto: Foto: Reuters)

Immer wieder waren die Liberaldemokraten bei Wahlen erfolgreicher als in Deutschland die FDP oder die Grünen. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts in Großbritannien nutzte ihnen das wenig: Ins Unterhaus zieht nur ein, wer in seinem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält.

Das Wahlrecht machte den Liberaldemokraten dann auch vergangene Woche einen Strich durch die Rechnung. Cleggs Partei erhielt zwar 23 Prozent der Wählerstimmen, aber mit 57 Sitzen weniger als neun Prozent der 650 Sitze im Unterhaus. Zum Vergleich: Labour bringt mit 29 Prozent der Stimmen 258 Abgeordnete ins Unterhaus.

Entsprechend frustriert zeigte sich Nick Clegg. "Das war eine enttäuschende Nacht. Wir haben einfach nicht das erreicht, was wir uns erhofft haben", gab er zu Protokoll.

Doch nun, wenige Tage später ist klar: Nick Clegg ist der mächtigste Liberale seit dem legendären David Lloyd George, der Großbritannien als Munitions-, Kriegs- und Premierminister im Ersten Weltkrieg führte. Wahrscheinlich ist der smarte 43-jährige Clegg sogar der derzeit mächtigste Mann im Königreich.

Clegg ist es gelungen, innerhalb von zwei Stunden Premierminister Brown zu stürzen und die Tories zur Aufgabe ihres fundamentalen Widerstands gegen eine Reform des Wahlrechts zu bringen.

Wie konnte es dazu kommen?

Klar war schon kurz nach der Wahl, dass weder die konservativen Tories noch Labour ohne Clegg eine Regierung würden bilden können. Die Position des Königsmachers hat Clegg in den vergangenen Tagen brillant ausgespielt.

Zunächst trieb der Parteichef die Gespräche mit den Tories voran. Inhaltlich stehen die Liberalen zwar Labour näher, aber David Cameron ging als Sieger aus den Wahlen hervor und kann - anders als Labour - eine stabile Mehrheit im Unterhaus garantieren. Zudem hatte Clegg mehrfach ausgeschlossen, dem großen Verlierer Gordon Brown zum Machterhalt zu verhelfen.

William Hague, Camerons Schatten-Außenminister, erklärt am Montagmorgen nach drei Verhandlungstagen, dass die Gespräche überaus positiv verlaufen seien. Obwohl die Tories eine Reform des Wahlrechts und damit die wichtigste Forderung der Liberaldemokraten weiter ablehnen, lassen die Liberalen die Tories im Glauben, dass eine Einigung kurz bevorsteht.

Verhandlungsposition erneut verbessert

Was die Tories zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Clegg lässt zeitgleich geheime Verhandlungen mit Labour führen. Browns Partei ist den Liberaldemokraten nicht nur ideologisch näher - sie sind vor allem bezüglich der liberalen Kernforderung einer Wahlrechtsreform deutlich offener als die Konservativen. Am Montagnachmittag deutet erstmals ein Liberaldemokrat öffentlich an, dass die Tories ihren Vorstellungen doch nicht nahe genug gekommen sind.

Wenige Stunden später verkündet Gordon Brown vor seinem Amtssitz in der Downing Street seinen Rückzug als Labour-Chef und damit indirekt als Regierungschef. Gleichzeitig kündigt der geschlagene Premier an, dass die Liberaldemokraten nun auch mit Labour in offizielle Gespräche treten. Clegg kommentiert zufrieden: "Ich denke, er hat im nationalen Interesse gehandelt und seine Ankündigung könnte ein wichtiges Element auf dem Weg zu einer stabilen Regierung sein."

Die Medien in Großbritannien diskutieren nun kontrovers, ob Browns Rückzug ein cleverer Schachzug war, der Labour wieder zurück ins Spiel bringt - oder eine Kamikaze-Aktion, die Labour letztlich nur schaden wird.

Sicher aber ist: Cleggs Verhandlungsposition hat sich erneut verbessert.

Das haben auch die Tories erkannt. Keine zwei Stunden nach Browns Rückzug unterbreiten die Konservativen Clegg ein vor kurzem noch undenkbares Angebot: Eine Volksabstimmung über die Reform des Wahlrechts. Das Angebot würde keine radikale Reform hin zu einem Verhältniswahlrecht bedeuten, sondern lediglich Änderungen zugunsten der Liberaldemokraten. Aber es ist ein erster Schritt.

Clegg hält sich nun natürlich beide Optionen offen: "Wir werden wie immer verantwortlich handeln, um eine stabile Regierung zu bilden, wie sie die Briten verdienen", lässt er in einer Verhandlungspause die Presse wissen.

Im kleinen Kreis soll Clegg gestanden haben, er hätte es selbst nicht für möglich gehalten, dass die anderen Parteien so weit gehen würden, um sich seine Unterstützung zu sichern. Jetzt, da er offiziell mit beiden verhandelt, wird sein Spielraum noch größer.

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