Süddeutsche Zeitung

Großbritannien vor der Wahl:Wer hat Angst vor den Schotten

  • Die schottischen Nationalisten könnten starke Gewinne aus den Wahlen am 7. Mai als drittstärkste Kraft im Parlament hervorgehen, obwohl sie nur in Schottland antreten.
  • Die SNP könnte Labour-Chef Ed Miliband zum Premier machen, wenn er einem weitern Unabhängigkeitsreferendum zustimmt.
  • Miliband schließt eine formelle Koalition aus, zu einer informellen äußert er sich vage.
  • Die Tories warnen, dass eine Kooperation zwischen Labour und den schottischen Nationalisten eine "ernste Bedrohung für die Wirtschaft" darstelle.

Von Christian Zaschke, London

Am Dienstag hat sich John Major in den britischen Wahlkampf eingeschaltet und über das Thema gesprochen, über das im politischen Betrieb des Vereinigten Königreichs gerade jeder spricht: Schottland. Der frühere Premierminister warnte davor, die Scottish National Party (SNP) könnte Chaos über das Land bringen, indem sie eine von der Labour-Partei geführte Minderheitsregierung "auf täglicher Basis erpresst".

Umfragen prophezeien den schottischen Nationalisten starke Gewinne, sie könnten aus den Wahlen am 7. Mai als drittstärkste Kraft im Parlament hervorgehen, obwohl sie nur in Schottland antreten. Da voraussichtlich weder die Konservativen noch die Labour-Partei eine absolute Mehrheit erreichen, wäre die SNP in einer äußerst einflussreichen Position. Diese Aussicht ist das beherrschende Thema des Wahlkampfs geworden.

John Major wanrt vor "konkreter Gefahr für unsere Zukunft"

Dass John Major sich ins politische Geschehen einmischt, kommt nicht oft vor. Er hat sich nach dem Ende seiner Amtszeit im Jahr 1997 weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Entsprechend gespannt wurde seine Intervention am Dienstag erwartet. Major hielt seine Rede in einem umkämpften Wahlkreis in den West Midlands, er sagte, ein mögliches Bündnis von Labour und SNP stelle "eine konkrete Gefahr für unsere Zukunft" dar, da die SNP eine von Labour geführte Minderheitsregierung jederzeit stürzen könne. Mit diesem Hebel könne sie alle ihre Forderungen durchsetzen. Hauptanliegen der Partei ist ein unabhängiges Schottland.

Labour-Chef Ed Miliband hat eine formelle Koalition mit der SNP ausgeschlossen, zu einer informellen Zusammenarbeit äußert er sich jedoch vage. Zuletzt hatten die Schattenminister für Finanzen und Gesundheit angedeutet, dass in manchen Fragen eine Kooperation durchaus möglich sei. Das mag auch daran liegen, dass es für die Labour-Partei schwierig wird, die stärkste Fraktion in Westminster zu stellen, wenn sie, wie prophezeit, fast alle ihre schottischen Sitze an die SNP verliert. Es ist in Großbritannien praktisch schwer vorstellbar, aber doch theoretisch möglich, dass der Vorsitzende der zweitstärksten Partei Premierminister wird - in Milibands Fall, wenn er mit SNP-Stimmen auf eine Mehrheit im Parlament käme.

Tories warnen vor Labour und den Schotten

Die Strategen der Tories haben offenkundig entschieden, die Warnung vor dieser Möglichkeit zumindest vorübergehend ins Zentrum ihres Wahlkampfes zu rücken. Ed Miliband beschuldigt die Konservativen daher, die schottischen Nationalisten starkzureden, damit diese Labour nördlich der Grenze möglichst viele Sitze abnehmen. Premierminister David Cameron versuche überdies, England gegen Schottland auszuspielen und gefährde damit die Union.

Tatsächlich hat Cameron zuletzt in mehreren Interviews ausführlich über die SNP gesprochen und dabei seinerseits der Labour-Partei vorgeworfen, mit einer Zusammenarbeit den Fortbestand des Vereinigten Königreichs zu riskieren. In Bezug auf die Vorwürfe von Labour sagte der frühere Außenminister William Hague am Dienstag, dass man die Wähler nun einmal auf die "äußerst ernste Bedrohung für die Wirtschaft" hinweisen müsse, die eine Labour-SNP-Kooperation bedeuten würde. Das tue man keinesfalls aus wahltaktischen Gründen, schließlich würden die Tories von einem Erfolg der SNP "in keinster Weise profitieren". Dass die Gewinne der SNP überwiegend auf Kosten von Labour gehen und sich daher für die Tories die Chancen erhöhen, stärkste Partei zu werden, erwähnte Hague nicht.

SNP-Chefin Sturgeon genießt das Interesse

SNP-Chefin Nicola Sturgeon genießt es sichtlich, dass ihre Partei derart im Zentrum des Interesses steht. Bei der Vorstellung ihres Wahlprogramms Anfang dieser Woche sagte sie, man werde im Unterhaus "verantwortungsvoll und konstruktiv" zum Wohle des gesamten Landes arbeiten. Es könne Großbritannien nur guttun, wenn es in den Genuss einer "fortschrittlicheren Politik" komme. Mehrmals hat Sturgeon betont, dass sie bereit sei, die Labour-Partei zu unterstützen. Inhaltlich sind die Parteien nicht allzu weit voneinander entfernt, sieht man von dem einen, entscheidenden Punkt ab: Die Labour-Partei ist entschieden für den Fortbestand der Union von England, Schottland, Wales und Nordirland.

Als die Schotten im vergangenen Herbst gegen die Unabhängigkeit stimmten, hieß es, damit sei die Frage für mindestens eine Generation erledigt. Nun gilt es als reale Möglichkeit, dass die SNP Ed Miliband unter einer Bedingung zum Premier macht: dass er in nicht allzu ferner Zukunft einem weiteren Unabhängigkeits-Referendum zustimmt.

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SZ vom 22.04.2015/hai
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