Großbritannien:Mit dem Rücken zur grauen Wand

Prime Minister's Questions

Abwehrhaltung: Premier Boris Johnson beantwortet in seiner Quarantäne in 10 Downing Street die Fragen des Parlaments.

(Foto: House Of Commons/dpa)

Premier Boris Johnson muss sich der Fragestunde im Parlament diesmal in Quarantäne stellen. Er steht unter Druck, sogar in der eigenen Partei.

Von Alexander Mühlauer, London

Die Woche fing wahrlich nicht gut an für Boris Johnson. Am Sonntagabend musste sich der britische Premier in Quarantäne begeben, nachdem ein Abgeordneter, den er getroffen hatte, positiv auf das Coronavirus getestet worden war. Johnsons eigener Test fiel zwar negativ aus, aber gemäß den Corona-Regeln muss er 14 Tage in Selbstisolation verbringen. Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich den Prime Minister's Questions, der Fragestunde im Unterhaus, per Videoschalte zu stellen. Zuvor hatte Johnson versichert, er fühle sich fit wie ein Turnschuh. Oder wie er auf Englisch sagte: "fit as a butcher's dog".

Der Premier saß also am Mittwochmittag vor einer grauen Wand in 10 Downing Street und wartete auf die Fragen. Es hätte einiges zu besprechen gegeben. Die Folgen des Rückzugs von Johnsons umstrittenem Chefberater Dominic Cummings etwa. Und die Brexit-Verhandlungen. Oder die Marke von 50 000 Corona-Toten, die Großbritannien als erstes Land in Europa überschritten hat. Oppositionschef Keir Starmer entschied sich, mit einem anderen Thema zu beginnen: Schottland.

Labour-Chef Starmer nennt die Politik der Regierung eine Bedrohung für das Land

Warum, wollte der Labour-Vorsitzende wissen, habe der Premier die schottische Devolution, also die Verlagerung politischer Kompetenzen von Westminster nach Edinburgh, als "Desaster" bezeichnet. Johnson hatte dies in einer virtuellen Sitzung mit Tory-Abgeordneten aus Nordengland gesagt. Nun, erneut via Zoom zugeschaltet, erklärte der Premier, dass nicht die Devolution, sondern deren Folgen ein Desaster seien - und zwar in Gestalt der Scottish National Party (SNP). "Die schottischen Nationalisten haben eine Mission: das Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs", sagte Johnson.

Labour-Chef Starmer wiederum bezeichnete die Politik der Regierung als eine Bedrohung für das Land. Noch deutlicher wurde Ian Blackford, der SNP-Vorsitzende im Unterhaus: "Das wahre Desaster ist dieser Premierminister. Er ist es, der die Einheit des Vereinigten Königreichs aufbricht." Als Beispiel nannte er den Brexit, der gegen den Willen Schottlands vollzogen werde. Der einzige Ausweg, sich von der Regierung in Westminster zu lösen, sei ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum, sagte Blackford. Johnson wies dies entschieden zurück. Mit dem Brexit werde Schottland die Kontrolle über die eigenen Fischgründe zurückerlangen, erklärte der Premier.

Premier Johnson setzt viel Hoffnung in einen Impfstoff, und in seine grüne Agenda

Ansonsten spielten die Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit der EU keine große Rolle in der Fragestunde. Ganz anders ist das in Johnsons Konservativer Partei. Nach dem Abgang von Brexiteer Cummings steht der Premier unter gewaltigem Druck. Denn die Brexit-Hardliner in seiner eigenen Partei fürchten, dass er nun gegenüber Brüssel einknicken könnte. Die Strategen in Downing Street sind deshalb sehr darum bemüht, ja nicht den Eindruck zu erwecken, dass Johnson jetzt zu Zugeständnissen bereit wäre. Im Gegenteil: An der Verhandlungsposition habe sich nichts geändert, heißt es. Man wolle zwar weiter einen Deal, aber wenn dies nicht möglich sei, habe man auch kein Problem damit.

Irlands Premierminister Michéal Martin sagte am Dienstag, dass er "die Landezonen" für einen Deal sehen könne. Die Frage, ob Großbritannien für einen Deal bereit sei, müsse aber offenbar noch in London geklärt werden, sagte Martin. In Verhandlungskreisen heißt es, dass sich in der kommenden Woche zeigen dürfte, ob eine Einigung möglich sei.

Die Regierung in London versucht derweil, andere Themen zu setzen. Neben der Hoffnung auf einen Impfstoff gegen das Coronavirus ist da vor allem Johnsons grüne Agenda. Der Premier kündigte am Mittwoch an, dass der Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor von 2030 an verboten werden soll - fünf Jahre früher als bisher geplant. Das Vorhaben ist Teil eines Zehn-Punkte-Plans, mit dem Johnson Großbritannien bis 2050 klimaneutral machen will. Gut zwölf Milliarden Pfund (etwa 13,4 Milliarden Euro) will die Regierung bis zum Jahr 2030 bereitstellen. 250 000 neue Jobs sollen entstehen.

Die Labour Party streitet mit ihrem früheren Chef Corbyn

Aus Johnsons Sicht gab es am Mittwoch noch einen weiteren Lichtblick: Labour-Chef Starmer geriet unter starken Druck, nachdem am Dienstagabend bekannt geworden war, dass sein Vorgänger Jeremy Corbyn nach 19 Tagen Suspendierung wieder Parteimitglied ist. Dies entschied das dafür zuständige Gremium - offenbar gegen den Willen Starmers. Corbyns Mitgliedschaft war ausgesetzt worden, nachdem er das Antisemitismus-Problem in der Labour Party als "dramatisch überbewertet" bezeichnet hatte. Das Jewish Labour Movement kritisierte die Wiederaufnahme des früheren Parteichefs.

Corbyn hatte am Dienstag erklärt, dass Sorgen über Antisemitismus weder "übertrieben" noch "überspitzt" seien. Er habe nur klarmachen wollen, dass die große Mehrheit der Labour-Mitglieder Antisemitismus entschieden ablehne. Starmer sagte am Mittwoch, dass Corbyn die Labour Party nicht weiter als Abgeordneter im Unterhaus vertreten werde.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: