Großbritannien:May zeigt sich in Brexit-Frage angriffslustig

***BESTPIX*** Theresa May Makes EU Statement

Premierministerin Theresa May hat nur noch eine Woche, um Kritiker in den eigenen Reihen zu überzeugen. Schon an diesem Wochenende hält Labour einen Parteitag ab. Dort wird über ein neues Referendum debattiert.

(Foto: Jack Taylor)
  • Die Absage der EU an den Plan der britischen Regierung zur Ausgestaltung der künftigen Handelsbeziehungen lässt Premierministerin May unversöhnlich zurück.
  • Die britischen Medien befinden, die EU sei schuld, dass in den Brexit-Verhandlungen nichts vorangehe, sie wolle die Briten leiden sehen.
  • Die Labour-Partei plant bei ihrem Parteitag am Wochenende, May und ihre Politik nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Das britische Medienecho nach dem EU-Gipfel in Salzburg ist vernichtend. Allerdings schießen sich die Zeitungen nicht auf die Premierministerin und ihr Beharren auf der eigenen Position ein - sondern auf Brüssel. Die EU sei schuld, dass nichts vorangehe. Ein Racheakt für den Brexit sei der Empfang für Theresa May gewesen - ein Beweis dafür, dass es richtig sei, die Union so schnell wie möglich zu verlassen.

Die Regierungschefs der EU hätten May und damit Großbritannien gedemütigt, schreibt der Guardian. Das Gratisblatt Metro hat "NEIN, NEIN, NEIN" auf dem Titel, um die feindselige Haltung der deutschen Kanzlerin herauszuheben. Am lautesten brüllt, wie immer, die Sun: "Dreckige EU-Ratten" schreibt das Blatt; "die EU-Mafia überfällt Theresa May in einem Hinterhalt". Die offizielle Botschaft allerorten: We will not surrender, wir geben nicht nach - und nicht auf.

May fühlt sich unfair behandelt

Auch Theresa May zeigte sich am Tag danach zurück in London unversöhnlich und angriffslustig. Sie gab am Mittag eine Erklärung ab, und wer Kompromissbereitschaft oder gar eine Rücktrittserklärung erwartet hatte, sah sich getäuscht. Der Chequers-Plan, der EU-Standards für Güter, aber eigene Regeln für Dienstleistungen und Migration sowie eine komplexe, technische Lösung für Nordirland vorsieht, stehe nach wie vor, bestätigte May den staunenden Briten. "Ich habe die EU immer mit Respekt behandelt. Großbritannien erwartet dasselbe", sagte sie und machte klar, dass sie sich unfair behandelt fühlt. Die Absage der EU zu Chequers sei "inakzeptabel". Die andere Seite habe keine konkrete Begründung gegeben oder Gegenvorschläge gemacht; nun müsse Brüssel sich en détail erklären.

EU-Ratspräsident Donald Tusk teilte noch am Freitagabend mit, die britische Haltung "direkt vor und während des Salzburg-Treffens" sei "überraschend hart und in der Tat kompromisslos" gewesen. Er sagte allerdings auch, er sei weiterhin davon überzeugt, dass ein Brexit-Kompromiss, der "gut für alle" sei, noch erzielt werden könne.

Die Premierministerin argumentiere, monierten britische Reporter, genauso, wie sie am Tag zuvor in Salzburg argumentiert habe, als ihre Pläne zurückgewiesen worden waren: Wie ein Kind, das sich Augen und Ohren zuhält und schreit: "Ich will, ich will, und ihr seid blöd". Intern allerdings, so ist zu hören, ist die Stimmung am Boden. Die BBC-Reporterin Laura Kuenssberg, die in Salzburg dabei war, twitterte vor ihrem Heimflug, May werde von den eigenen Leuten reihenweise abgewatscht. Sie sei aber "ohne jede Einsicht". Wie es weitergehe? Das wisse keiner im Team.

Dass May mit einer Niederlage aus Österreich nach London zurückflog, wird Auswirkungen auf die britische Position haben: Die Regierung wird ihre Vorbereitungen für ein Scheitern der Verhandlungen intensivieren. Erst einmal aber muss die Premierministerin den Parteitag in Birmingham überstehen, der am 30. September beginnt und auf dem sie am 3. Oktober eine große Rede halten soll. Ihr Auftritt 2017 in Manchester war grässlich schiefgegangen, sie hatte vor lauter Husten kaum sprechen können, aber ihre Gegner beließen sie im Amt, weil sie einen "guten Deal für Großbritannien" versprach. Nun muss sie wieder ums Überleben kämpfen.

Labour will May und ihre Politik zerlegen

Eigentlich hatte es aus Brüssel vor dem Gipfel geheißen, man wolle May nicht düpieren, um sie nicht zu schwächen. Schließlich seien ihre Gegner von der Hardliner-Truppe "European Research Group" noch radikaler als May. Doch dann hat sich offenbar die Maxime durchgesetzt, man müsse den Briten "die Instrumente zeigen", um zu beweisen, dass sie mit Beharren auf den Chequers-Plan nicht weiterkommen. Und dass ein Ende der Verhandlungen ohne Ergebnis so realistisch wie schmerzlich sei. Die Hoffnung: Je brutaler die Ansage, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass London einlenkt.

May hat eine Woche, um für ihren Aufritt in Birmingham darauf eine starke Antwort zu finden, die auch die Tories überzeugt - und nur wenige Wochen, um Brüssel zu überzeugen. Und dann wäre da noch Labour: Die Partei hält an diesem Wochenende ihren Parteitag in Liverpool ab, und die Truppe um Jeremy Corbyn hat vor, May und ihre Politik nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen. Für Labour ist das Debakel ein gefundenes Fressen. Denn es lenkt von den massiven eigenen Problemen ab, mit denen die Linken kämpfen.

Corbyns Partei will eine weiche Brexit-Lösung

Auf dem Parteitag dürfte es zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen der Momentum-Bewegung, die Parteichef Corbyn groß gemacht hat, und sozialdemokratischen Zentristen kommen. Die Streitpunkte sind nicht brexit-relevant und etwas für Feinschmecker. Es geht um eine Statutenänderung, mit der die Abwahl von missliebigen Mandatsträgern erleichtert werden soll, was langjährige Mitglieder als Instrument der Corbyn-Fans verstehen, um die Partei zu "säubern" und eigene Leute zu installieren. Es geht um Disziplinarverfahren gegen Kritiker im eigenen Haus und wie mit dem Vorwurf umzugehen sei, dass die Parteiführung im Kern antisemitisch und rassistisch denke.

Ein starkes Corbyn-Lager wird in Liverpool einem wortgewaltigen Lager von Gegnern gegenüberstehen, die den Kurs der Partei für antidemokratisch halten. Parallel zu den inneren Machtkämpfen, die das Publikum eher irritieren dürften, wird aber auf dem Labour-Parteitag auch über den Brexit debattiert werden. Bisher lautete die Marschroute: Wir wollen eine möglichst weiche Lösung, und dafür werden Neuwahlen nötig sein. Nach einem Labour-Sieg würde die neue Regierung konstruktiver mit Brüssel verhandeln.

Doch mittlerweile gibt es eine starke Strömung, die nicht auf Neuwahlen wartet, sondern ein neues Votum der Briten zum EU-Austritt einholen will. Der "people's vote", das zweite Referendum, hat viele Befürworter in der Partei, ihre Zahl wächst auch bei Labour-nahen Gewerkschaften. Der Abgeordnete und Corbyn-Kritiker Chuka Umunna wirbt damit, dass eine neue Abstimmung die Chance zur Umkehr bedeute. Die Parteiführung hat mittlerweile eingelenkt: In Liverpool steht das zweite Referendum auf der Tagesordnung.

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