Großbritannien:May will EU um weitere Brexit-Verschiebung bitten

Die britische Premierministerin versucht nun erstmals, zusammen mit der Opposition eine Lösung für den EU-Austritt zu finden.

Von Cathrin Kahlweit, London

Die britische Regierung hat nach einer siebenstündigen Kabinettssitzung am Dienstag beschlossen, auf die Opposition zuzugehen und einen weichen Brexit zu verfolgen. Es ist eine Kehrtwende. Dafür will Theresa May, wie sie in einer Erklärung am Abend mitteilte, in Brüssel um eine neue, möglichst kurze Verlängerung des Austrittsprozesses bitten. Labour-Chef Jeremy Corbyn signalisierte seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Er werde sich "sehr gerne" mit May treffen. Labour wolle eine Zollunion mit der EU, einen Zugang zu den Märkten und Schutz für Angestellte sicherstellen, sagt er. Er erkenne an, dass sich May mit ihrer Erklärung nun bewegt habe. Allerdings habe sie bislang keine große Bereitschaft zu Kompromissen erkennen lassen.

Das Austrittsabkommen mit der EU, das May im vergangenen Herbst ausgehandelt hatte, soll nach ihren Worten die Basis des Deals bleiben. Offenbar will May der EU nun erstmals gemeinsam mit der Opposition einen Vorschlag für eine neue politische Erklärung unterbreiten. May setzt darauf, dass der gemeinsame Vorschlag so schnell ausgearbeitet werden kann, dass die Verschiebung des Austrittsdatums nicht länger als bis zum 22. Mai dauern müsste. Für diesen Tag war der Brexit für den Fall vorgesehen gewesen, dass May ihren Deal im Unterhaus durchsetzen kann.

Derzeit ist geplant, dass Großbritannien am 12. April aus der Staatengemeinschaft ausscheidet.

Erste Reaktionen in den britischen Medien waren eher skeptisch, weil May weder angedeutet hatte, ob sie für diesen Schritt die Rückendeckung der Brexiteers in ihrer Partei hat, noch ist sie offenbar bereit für eine lange Verschiebung des Austrittsdatums. Sie beharrt auf der Zustimmung für den ausgehandelten Vertrag, dem aber die nordirische DUP, Teile ihrer Fraktion und einige europakritische Labour-Abgeordnete nicht zugestimmt hatten. Jetzt ist sie auf den politischen Gegner angewiesen.

Am Vortag hatte sich das Parlament vergeblich darum bemüht, in vier Abstimmungen einen Weg aus dem Dilemma zu finden. Keine der vier Varianten für die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU hatte eine Mehrheit gefunden; jedoch war der Plan, nach dem Brexit eine permanente Zollunion mit der EU einzugehen, nur an drei Stimmen gescheitert. Fraglich ist, was May den Abgeordneten anbieten könnte. Sowohl Labour als auch die Schottische Nationalpartei wollen einen weichen oder keinen Brexit. Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon nannte den Vorschlag Mays eine "potenzielle Falle". EU-Ratspräsident Donald Tusk rief dazu auf, die Nerven zu bewahren. Bundesaußenminister Heiko Maas sagte, auch in London müsse sich herumgesprochen haben, dass es "längst fünf nach Zwölf ist". Frankreichs Präsident Macron sagte, die EU könne nicht dauerhaft "Geisel" einer Krise in Großbritannien sein. "Wenn das Vereinigte Königreich fast drei Jahre nach dem Referendum nicht in der Lage ist, eine Lösung zu präsentieren, die von einer Mehrheit unterstützt wird, wird es faktisch selbst einen No-Deal-Exit gewählt haben."

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