Großbritannien:"Massaker" in Downing Street

Der britische Premier Boris Johnson bildet sein Kabinett um - so rabiat, dass einer von allein geht.

Von Cathrin Kahlweit, London

Dass er sein Kabinett umbilden würde, hatte Boris Johnson schon nach seinem Wahlsieg angekündigt. Nun könne er sich ein Regierungsteam zusammenstellen, hieß es, in dem er keine Rücksichten mehr auf Minderheitenmeinungen oder Gegner in der Partei nehmen müsse. Es würde ein "Massaker" werden, wurde vermutet - und auch wenn dieses Wort bei Entlassungen und Beförderungen von Ministern eigentlich unangebracht ist: Johnson enttäuschte die Erwartungen nicht.

Schon am Vormittag hatte der Premier eine Handvoll Minister gefeuert, die einzeln in Downing Street antreten mussten. Sie eilten mit versteinerten Gesichtern an den Kameras vorbei - und verließen das Gelände ohne Kabinettsposten. Es traf Wirtschaftsministerin Andrea Leadsom, Verkehrsminister George Freeman, den obersten Rechtsberater der Regierung im Ministerrang, Geoffrey Cox, Nordirland-Minister Julian Smith und Wohnungsministerin Esther McVey. Sie alle mussten gehen. Die eigentliche Sensation war dann jedoch, dass Finanzminister Sajid Javid seinen Job von sich aus hinschmiss.

Nordirland-Minister Julian Smith, der als sehr erfolgreich galt, verlor überraschend sein Amt

Man habe Javid zwingen wollen, meldete die BBC, seine gesamte Beraterriege zu entlassen und das Ministerium quasi unter die Kontrolle von Downing Street zu stellen. Javid soll sich schon seit geraumer Zeit in einem Streit mit dem engsten Berater von Johnson, Dominic Cummings, befunden haben; dieser stehe, heißt es, hinter dem Versuch, die Regierungsarbeit in Downing Street zu konzentrieren und Minister zu kontrollieren. Die Times schreibt, Javid habe diesen Schritt nicht kommen sehen und empört den Job hingeworfen. Er hätte in wenigen Wochen das Budget der neuen Regierung vorstellen sollen.

Im Eklat um Javid und die Bestellung eines neuen Schatzkanzlers, seines bisherigen Staatssekretärs Rishi Sunak, ging dann auch eine andere Personalie weitgehend unter: Johnson feuerte Nordirland-Minister Julian Smith - jenen Mann, der erst vor wenigen Wochen einen großen politischen Erfolg erringen konnte: Es war ihm gelungen, die zerstrittenen Regierungsparteien in Nordirland, die drei Jahre lang jede Kooperation verweigert hatten, zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Seit vier Wochen tagen Parlament und Kabinett in Belfast wieder. Zahlreiche irische Politiker bedauerten die Entscheidung. Offenbar traf Smith der Zorn Johnsons, weil er einer Untersuchung möglicher Straftaten britischer Soldaten während des Bürgerkriegs in Nordirland zugestimmt hatte.

Der Rücktritt des Schatzkanzlers, wie der Finanzminister in Großbritannien heißt, überlagerte die Nachricht von der Beförderung mehrerer Johnson-Freunde in hohe Ämter. So wurde die bisherige Staatssekretärin im Verteidigungsressort neue Ministerin für Internationale Entwicklung. Und der in Indien geborene bisherige Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium, Alok Sharma, wird neuer Wirtschaftsminister. Er soll sich auch um eine wichtige Umweltkonferenz in Schottland im November kümmern, die als Prestigeprojekt der Regierung gilt.

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