Waffenlieferungen an die Ukraine:Die Briten preschen vor

Waffenlieferungen an die Ukraine: Unbesiegt im Kampf, jedenfalls nach britischen Angaben: der Kampfpanzer "Challenger 2", hier beim Einsatz im Irak im Jahr 2003.

Unbesiegt im Kampf, jedenfalls nach britischen Angaben: der Kampfpanzer "Challenger 2", hier beim Einsatz im Irak im Jahr 2003.

(Foto: STR New/Reuters)

London will der Ukraine schnellstmöglich 14 Kampfpanzer liefern. Die Armee preist den "Challenger 2", doch die Kritik in Großbritannien am Zustand der Streitkräfte ähnelt der in Deutschland.

Von Michael Neudecker, London

Im November 2021 saß der damalige britische Premierminister Boris Johnson in einem Komitee-Raum in Westminster, um dem "Liaison Committee" Fragen zu seiner Arbeit als Regierungschef zu beantworten. Der Tory-Abgeordnete Tobias Ellwood, ehemaliger Soldat im Rang eines Captains und Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, fragte Johnson in geradezu verärgertem Tonfall, wieso er die Truppenstärke reduziere und nicht mehr in Kriegsgerät investiere. Ob er denn die offensichtliche Bedrohung an der russisch-ukrainischen Grenze nicht sehe? "Wir müssen erkennen, dass die Zeiten von Landkämpfen mit Panzern auf europäischem Boden vorbei sind", sagte Johnson.

Zwei Premierminister und eine Invasion später entschied das Königreich nun als erstes westliches Land, hochmoderne Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken. Es will die ukrainische Armee in ihrem Landkampf auf europäischem Boden unterstützen, in den sie vier Monate nach Johnsons Auftritt im Komitee-Raum von Russland gezwungen wurde.

14 Challenger-2-Panzer sollen schnellstmöglich in die Ukraine gebracht werden, zusammen mit Munition und Ersatzteilen. Hinzu kommt ein Training für die ukrainischen Streitkräfte: Der Challenger 2 gilt als modernes Kriegsgerät, das sich in der Bedienung von den Panzern unterscheidet, die die ukrainischen Soldaten gewöhnt sind. In Videos preist die britische Armee den bis zu 60 km/h schnellen Panzer an, als handle es sich um einen schicken Geländewagen aus der PS-Sendung "Top Gear". Der Challenger 2 ist so etwas wie der Stolz der Armee.

Johnsons Nach-Nachfolger Rishi Sunak telefonierte am Samstag mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij und sicherte ihm die Lieferung der Panzer gemeinsam mit anderen Gerätschaften zu. "Die beiden waren sich einig, diesen Moment zu nutzen, indem die militärische und diplomatische Unterstützung für die Ukraine beschleunigt wird", so formulierte es ein Sprecher von Downing Street danach. Eine umständliche Umschreibung für: Jetzt oder nie.

Die britische Armee? "Schrottreif und kaputtgespart"

Noch Anfang der vergangenen Woche hatte ein westlicher Regierungsvertreter in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten gesagt, die Ukraine brauche nun schweres Kriegsgerät wie Panzer, ansonsten sei es nicht möglich, Land zurückzugewinnen. Zudem böten gerade die Panzer aus britischer und deutscher Fertigung den Vorteil, dass sie den russischen Panzern überlegen seien. Der 62,5 Tonnen schwere Challenger 2 ist seit 1994 im Dienst und dazu gedacht, andere Panzer zu zerstören. Er kam in Bosnien und Herzegowina, in Kosovo sowie im Irak zum Einsatz und ist, das jedenfalls lässt die britische Armee auf ihrer Homepage wissen, bisher nie im Kampf besiegt worden.

Die vier Panzerdivisionen der britischen Armee verfügen nach offiziellen Angaben über je 56 Challenger-2-Panzer, insgesamt also 224. Die Zahl der Panzer dieses Typs hat sich damit in den vergangenen Jahren kaum verändert: 2016 teilte das Verteidigungsministerium mit, es seien 227 Challenger 2 in Besitz der Armee. Abgesehen davon allerdings ist die Kritik am Zustand der Armee im Königreich ähnlich wie in Deutschland: "Schrottreif und kaputtgespart" seien die Streitkräfte, schrieb der Journalist Max Hastings kürzlich in der Times. Der 77-jährige Hastings ist Autor diverser preisgekrönter historischer Militärbücher. Und er war Chefredakteur des Daily Telegraph, als das Blatt einen jungen Korrespondenten namens Boris Johnson nach Brüssel schickte.

Eine Generalin beklagt mangelnde Investitionen

Johnsons verquere Vision des "Global Britain", schreibt Hastings, habe vor allem dazu geführt, dass das Verteidigungsministerium das meiste Geld mit Blick auf indopazifische Bündnisse in die Navy investiert, statt zum Beispiel die Nato-Truppen in Osteuropa zu stärken. Auch in den Komitee-Räumen im britischen Parlament war der Tonfall zuletzt eher sorgenvoll: Am Mittwoch vergangener Woche, als der Verteidigungsausschuss mit seinem Vorsitzenden Tobias Ellwood rund drei Stunden lang tagte, beklagte etwa die eingeladene Generalin Sharon Nesmith, es sei in den vergangenen Jahren zu wenig in Fertigungsstätten investiert worden. Die Armee stehe nach bald zwei Jahren Krieg in der Ukraine vor dem Problem, dass die Produktion von Nachschub immer schwieriger werde. Auch seien eigentlich bereits beschlossene Reformprogramme gefährdet.

Im vergangenen Jahr standen Verteidigungsminister Ben Wallace rund 44 Milliarden Pfund zur Verfügung, umgerechnet fast 50 Milliarden Euro, hochgerechnet entspricht der britische Verteidigungsetat 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss hatte verkündet, den Wert in den kommenden Jahren auf drei Prozent zu erhöhen. Bis 2030 führe das zu einer Summe von rund 100 Milliarden Pfund, stellte Wallace danach zufrieden fest.

Aber Regierungsversprechen hatten in London zuletzt eine eher kurze Haltbarkeitsdauer, weshalb Wallace kurz nach Truss' Rücktritt sagte, er blicke derzeit nur "von Budget zu Budget". Truss' Nachfolger Rishi Sunak hat es bis jetzt vermieden, sich dazu konkret zu äußern. Allzu lange wird ihm das allerdings nicht mehr gelingen: Der nächste Haushaltsplan wird in knapp zwei Monaten vorgestellt.

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