Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:London erschwert Zuwanderung

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Von Cathrin Kahlweit, London

Die britische Wirtschaft werde "in Zukunft auf billige Arbeitskräfte aus Europa verzichten müssen" - das ist die Konsequenz des neuen Einwanderungsgesetzes, das Innenministerin Priti Patel am Mittwoch in London vorlegte. Nach der Brexit-Übergangsphase, die noch bis Ende 2020 dauert, soll ein Punktesystem in Kraft treten, das vor allem Fachkräften Zugang zum britischen Arbeitsmarkt gewährt und Ungelernte, Hilfskräfte und alle, die wenig Englisch sprechen, von der Zuwanderung ausschließt. Die 3,2 Millionen EU-Bürger, die sich bereits im Land befinden, sollen als Arbeitskräfte bleiben dürfen, außerdem wurde die Quote für Saisonkräfte in der Erntezeit erhöht. Mit dem Gesetz sollen etwa Servicekräfte, Bauarbeiter und selbständige Handwerker aus der EU, die einen Großteil der Neuzuwanderer ausmachen, daran gehindert werden, sich ein Leben im Königreich aufzubauen.

Die Innenministerin sagte, dies sei ein "historischer Moment für unser Land. Wir beenden die Freizügigkeit, bekommen die Kontrolle über unsere Grenzen zurück und geben den Menschen, was sie wollten: ein Einwanderungsrecht, das die Einwanderungszahlen reduziert". Unternehmen, die sich bisher auf Arbeitskräfte aus dem Ausland verlassen hätten, müssten sich "anpassen und verändern" und in Produktivität, neue Technologien und Automatisierung investieren. Außerdem, so Patel, müsse ein Teil der etwa acht Millionen Briten, die entweder arbeitslos seien oder keiner Arbeit nachgingen, in den Arbeitsmarkt integriert und geschult werden, um die Jobs derer zu übernehmen, die nun nicht mehr kommen dürfen.

In Zukunft soll es ein am australischen Modell orientiertes Punktesystem geben, nach dem Einwanderungswillige ein Jobangebot vorlegen müssen, mit dem sie mindestens 25 600 Pfund (30 800 Euro) im Jahr verdienen. Bei besonders dringend benötigten Fachkräften wie Krankenschwestern und Ärzten liegt die Einkommensschwelle bei 20 480 Pfund (24 660). Gute Englischkenntnisse (A-Level) müssen nachgewiesen werden. Bei der Einreise von Franzosen und Italienern sollen keine Personalausweise mehr akzeptiert werden, weil diese besonders häufig gefälscht worden seien. Insgesamt wird mit dem neuen Einwanderungsgesetz die Zahl der Fachkräfte kontrolliert und die Zahl der niedrig Qualifizierten drastisch reduziert.

Obwohl die Zielsetzung der Reform lange bekannt gewesen war und die britische Wirtschaft davor gewarnt hatte, reagierten viele Unternehmer und Verbände jetzt entsetzt. Der Chef der Föderation für die Rekrutierung und Anwerbung von Arbeitskräften, Tom Hadley, sagte, was die Regierung "schlecht ausgebildet" nenne, seien in Wirklichkeit genau jene Arbeitskräfte, welche die Wirtschaft besonders dringend brauche. In Großbritannien arbeiten in der Gastwirtschaft und Landwirtschaft, im Gesundheitswesen und auf dem Bau besonders viele Ausländer.

Panik im Gastgewerbe

Die Chefin des Industrieverbandes, Carolyn Fairbanks, begrüßte, dass die Deckelung der Visazahl für Fachkräfte aufgehoben werde. Aber in vielen Sektoren "werden sich die Firmenchefs fragen, wo sie jetzt noch Leute herbekommen sollen". Im Gastgewerbe herrscht nackte Panik. Die Fastfood-Kette "Pret a Manger" hatte schon vor zwei Jahren darauf hingewiesen, dass nur einer von 50 Bewerbern auf eine freie Stelle ein Brite sei. Kritisiert wurde auch, dass das neue System schon in zehn Monaten in Kraft treten soll, sodass wenig Zeit für Ausbildung und Fortbildung von Arbeitnehmern bleibe, die bereits im Land sind.

Die Einwanderungsfrage hatte das Brexit-Votum vor vier Jahren dominiert. Konservativ geführte Regierungen hatten die Senkung der "Netto-Einwanderung" versprochen, diese Zusage aber nie gehalten. Unter Netto-Einwanderung versteht man das Saldo aus Einwanderern und Ausreisenden in einem bestimmten Zeitraum. Seit 2016 ist die Zahl der Einwanderer aus der EU zwar zurückgegangen, doch noch immer kommen in Summe mehr, als gehen. Die Zahl der Migranten aus Nicht-EU-Ländern wiederum ist seit dem Brexit stark angestiegen. Vor Inkrafttreten des Gesetzes und der Schließung der Grenzen zum Jahresende wird jetzt noch einmal eine größere Welle von Migranten erwartet.

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SZ vom 20.02.2020
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