Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Für Johnson kommt der Moment der Wahrheit

Auf dem Parteitag in Manchester stehen die meisten Delegierten noch hinter ihm. Aber in drei Wochen muss der britische Premier geliefert haben - dafür sucht er die Konfrontation.

Kommentar von Cathrin Kahlweit, Manchester

Boris Johnson sagt derzeit oft: Nein. Die Berichte stimmten nicht. Oder sie seien alt. Oder der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung sei absichtlich gewählt, denn seine Gegner wollten ihm schaden. Welche Berichte? Welche Medien? Welche Themen? Die Bandbreite ist groß, denn der britische Premier hat derzeit eine ganze Menge Probleme am Hals, die er gern aus der Berichterstattung verbannt sähe. Deshalb interpretiert er sie als das, was der große Populist aus den USA, Donald Trump, als Begriff in die politische Debatte eingeführt hat: Fake News.

Da sind zum Beispiel die Nachrichten, dass London in den kommenden Tagen endlich ein Papier vorlegen wolle, über das Großbritannien und die EU verhandeln können. Endlich ein justiziables Dokument, und nicht nur so genannte Non-Papers. In der Nachricht des gewöhnlich exzellent informierten irischen Fernsehsenders RTE heißt es, Downing Street schlage Zollkontrollen auf der irischen Insel vor - nur nicht direkt an der Grenze. Dazu einzelne Aspekte der sogenannten alternativen Lösungen, technische Innovationen zur Umgehung von echter Grenz-Infrastruktur. Plus, womöglich, ein Zeitlimit für die Übernahme von EU-Regeln und Standards.

Alles alter Tobak, sagt Johnson, stimmt gar nicht, wir sind schon viel weiter, unser Vorschlag sieht anders aus. Wahrscheinlicher aber ist, dass London genau das, hübsch verpackt, vorlegen wird. Und Johnson ahnt, nein weiß, dass das nicht reicht. Das Karfreitagsabkommen, der Frieden auf der irischen Insel, wird so nicht geschützt. Die EU, Irland, die britische Opposition, sie werde nicht mitgehen. Fake News sehen anders aus.

London muss in Brüssel einen brauchbaren Vorschlag vorlegen

Dann ist da der Vorwurf einer Journalistin, der Premier habe sie vor vielen Jahren unsittlich berührt. Gelogen, sagt Johnson. Er soll, in seiner Zeit als Bürgermeister von London, einer Geliebten ökonomische Vorteile verschafft haben. Unwahr, sagt Johnson. Er hatte versprochen, die Familie der ermordeten Abgeordneten Jo Cox, die sich über seine überheblichen Bemerkungen zur Gefährdung von Unterhaus-Kollegen schwer geärgert hatte, zu kontaktieren und sich mit den Angehörigen auszusprechen. Das hat er aber nie persönlich getan. Stimmt nicht, sagt Johnson. Und so weiter und so fort.

Auf dem Parteitag in Manchester stehen die meisten Delegierten hinter ihm, sie wollen Johnson glauben. Aber der Moment der Wahrheit kommt bald. Tatsächlich muss Downing Street in Brüssel einen brauchbaren Vorschlag vorlegen, der die Aussicht auf einen Deal mit der EU eröffnet. Tut Johnson das nicht, scheitert er auf dem Gipfel, ist er am Ende. Er will keine Verlängerung von der EU erbitten. Er will nicht mit dem Parlament kooperieren. Er will die Konfrontation, auf ganzer Linie. Das reicht vielleicht für ein paar Beschimpfungen von politischen Gegnern und Journalisten, es reicht vielleicht für ein paar feurige Reden. Aber in drei Wochen muss er geliefert haben. Oder Boris Johnson ist Old News.

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SZ vom 02.10.2019/dit
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