Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Zwangsmaßnahmen gegen Millionen Briten in Pubs und Parks

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Von Cathrin Kahlweit, London

Der Schritt war seit Tagen erwartet worden, und schon im Laufe des Montags diskutierte die britische Öffentlichkeit über die Konsequenzen dessen, was am Abend sicher kommen würde. Tatsächlich strahlte die BBC dann um 20.30 Uhr Ortszeit eine aufgezeichnete Ansprache von Premierminister Boris Johnson auf, die er nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts vortrug. Zuvor hatte er auf seinen Pressekonferenzen immer frei gesprochen und mit seinen Aussagen regelmäßig Irritationen ausgelöst; diesmal wollten seine Berater offenbar kein Risiko eingehen.

Kein Regierungschef tue das gern, sagte er, aber nun sei es so weit: Verordnet werde eine weitgehende Ausgangsbeschränkung, die Schließung aller Geschäfte bis auf Lebensmittelläden und Apotheken, die Beschränkung auf Reisen bis auf unabdingbare Fahrten zur Arbeit - und, eine kleine Konzession an die Bürger: die Erlaubnis für eine Fitnessaktivität pro Tag.

Die Polizei, so Johnson, habe das Recht, Bürger aufzuhalten und zurechtzuweisen. Am Nachmittag hatte das Unterhaus ein entsprechendes Gesetz debattiert; es sollte umgehend beschlossen werden. Der Premier begründete die Maßnahmen, mit denen das Land zeitlich hinter anderen Staaten hinterherhinkt, damit, dass das britische Gesundheitssystem geschützt werden müsse. Würden zu viele Menschen gleichzeitig krank, seien die Krankenhäuser überfordert und viele Menschen müssten sterben.

Die britische Regierung hatte lange damit gezögert, entsprechende Zwangsmaßnahmen durchzusetzen; Johnson hatte immer wieder darauf hingewiesen, Großbritannien sei eine liberale Gesellschaft. Die Regierung hatte anfangs die Taktik der so genannten Herdenimmunität mit einer möglichst hohen Zahl von Infektionen verfolgt, damit baldmöglichst die Zahl der Menschen ansteigt, die gegen das Virus immun sind. Vor etwa einer Woche jedoch war der Kurs geändert worden, weil - Studien zufolge - bis zu 500 000 Tote die Folge hätten sein können.

Noch vor dem Wochenende hatte der Premier auf entsprechende Journalistenfragen, wie die Regierung das so genannte social distancing, den zur Verhinderung der Übertragung des Cornona-Virus notwendigen Abstand, durchsetzen wolle, gesagt, er gehe davon aus, dass die Briten vernünftig und einsichtsvoll genug seien. Allerdings war das Gegenteil der Fall: Nach Wochen schlechten Wetters und uneindeutigen Botschaften aus der Downing Street strömten Millionen Briten in Parks, an Strände, in Naturschutzgebiete und zum Shoppen. Noch am Montagmorgen waren die U-Bahnen in London voll. Ärzte und Behörden flehten die Menschen an, sich an die Vorgaben zu halten; aber das reichte nicht.

Offiziell hatte Großbritannien zu Wochenbeginn 6500 Infizierte und 335 Tote. Da aber die meisten Kranken sich gar nicht bei Ärzten oder in Krankenhäusern melden und wenige Menschen mit Symptomen tatsächlich getestet werden, dürfte die Dunkelziffer weit höher sein.

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