Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Angst vor der IS-Anhängerin

Vor vier Jahren schloss sich eine junge Britin der Terrormiliz an. Nun möchte sie zurück in ihre Heimat. Doch das will London verhindern.

Von Björn Finke, London

Die junge Mutter zeigt sich bestürzt: Zu lesen, dass das britische Innenministerium ihr die Staatsbürgerschaft aberkenne, sei "herzzerreißend", sagt Shamima Begum. "Ich finde, das ist ein wenig ungerecht mir und meinem Sohn gegenüber." Diesen Sohn, Jerah, gebar die 19-Jährige am Wochenende - in einem syrischen Flüchtlingslager. Dabei wuchs Begum in London auf. Aber 2015 reiste sie mit zwei Schulfreundinnen nach Syrien und schloss sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) an.

Vorige Woche gelang es der britischen Zeitung The Times , Begum in dem Lager zu finden. Die Frau und ihre Londoner Familie bitten darum, dass sie in ihre Heimat Großbritannien zurückkehren darf. Das will der konservative Innenminister Sajid Javid allerdings verhindern.

Regierungen dürfen Bürger nicht staatenlos machen

Deswegen entzog er Begum die Staatsbürgerschaft. In Flüchtlings- und Gefangenenlagern in und um Syrien leben viele Hundert IS-Kämpfer aus Europa - plus Familien. Die Zahl wird noch steigen, denn das selbsternannte Kalifat steht vor dem Ende. Über die Zukunft der Gestrandeten müssen die Regierungen ihrer alten Heimatstaaten entscheiden. US-Präsident Donald Trump fordert, dass diese ihre Bürger zurücknehmen, doch viele Länder zögern, zumal oft unklar ist, wie die Justiz mit den IS-Anhängern umgehen soll. In Deutschland streiten CSU und SPD über ein Gesetz, das Dschihadisten die Staatsbürgerschaft aberkennt. Dann könnten sie nicht ohne weiteres einreisen. In Großbritannien hat nun der Fall der jungen Shamima Begum eine Debatte über den richtigen Umgang mit IS-Veteranen ausgelöst.

Nach internationalem Recht dürfen Regierungen Bürger nicht staatenlos machen. Zwar kann der britische Innenminister laut Gesetz die Staatsbürgerschaft entziehen, wenn jemand mit seinem Verhalten "den lebenswichtigen Interessen" des Königreichs geschadet hat - aber Voraussetzung ist eben, dass die Person noch den Pass eines anderen Landes besitzt oder diesen zumindest beantragen kann. Shamima Begum ist Tochter bangladeschischer Einwanderer, doch nach Angaben des Außenministeriums von Bangladesch hat sie nie die Staatsbürgerschaft dieses Landes beantragt. Daher werde sie auch nicht einreisen dürfen, teilt das Ministerium mit.

Begum will die niederländische Staatsbürgerschaft beantragen

Der britische Innenminister Javid, der als möglicher Nachfolger von Regierungschefin Theresa May gilt, sagt, dass Begums Sohn Jerah Brite sei, da die Geburt kurz vor der Aberkennung der Staatsbürgerschaft seiner Mutter erfolgt ist. Shamima Begum soll allerdings trotzdem nicht das Königreich betreten dürfen, denn IS-Anhänger wie sie seien "voller Hass auf unser Land".

Der britische Fernsehsender ITV interviewte Begum nach der Entscheidung des Innenministers. In dem Gespräch sitzt die 19-Jährige im schwarzen Überkleid auf einem Sessel, im Arm hält sie das Neugeborene. Begum beklagt, dass andere Briten, die zum IS gereist waren, ins Königreich zurückkehren durften: "Ich weiß nicht, wieso mein Fall anders sein soll." Sie kündigt an, eventuell die niederländische Staatsbürgerschaft zu beantragen. Begum hat 2015, kurz nach ihrer Ankunft im selbsternannten Kalifat, den niederländischen IS-Kämpfer Yago Riedijk geheiratet.

Ein niederländisches Gericht verurteilte den Mann aus Arnheim in Abwesenheit wegen Mitgliedschaft in einer Terrorgruppe. Der 27-jährige Konvertit ergab sich heranrückenden Truppen und sitzt jetzt in einem anderen Lager in Syrien ein. Die Hochzeit der beiden ist in Großbritannien nicht gültig, da Begum noch keine 16 Jahre alt war. Das Paar bekam drei Kinder, doch zwei starben noch als Babys an Krankheiten und Unterernährung.

Ein abgehackter Kopf in einem Mülleimer? "Nicht beunruhigend."

Begum stammt aus Bethnal Green im Osten Londons, einem armen Stadtteil, in dem viele Einwanderer aus Bangladesch leben. Sie und ihre zwei mitreisenden Freundinnen gingen auf die Bethnal Green Academy, einer Schule, die bei staatlichen Kontrollen hervorragend abschnitt. Begum wurde als "vernünftig" und "talentiert" beschrieben. Bereits Ende 2014 reiste eine Freundin des Trios nach Syrien. Die Polizei befragte die drei Mädchen in der Schule, versäumte es aber, die Eltern zu warnen, dass sich eine Vertraute ihrer Töchter der IS-Miliz angeschlossen hat.

Die Mädchen wollten ihrer Freundin folgen. Um Geld für die Flugtickets nach Istanbul und für die Schleuser aufzutreiben, stahlen sie Familienschmuck. Sie wurden in die syrische Stadt Raqqa gebracht, eine Hochburg der IS-Miliz. Dort heirateten sie Kämpfer. Begum gab als Wunsch an, dass der ihr zugeteilte Mann zwischen 20 und 25 Jahren alt ist und englisch spricht.

Eine der drei jungen Frauen wurde vermutlich 2016 bei Luftangriffen getötet. Begum floh vor drei Wochen vor heranrückenden Truppen. In einem Interview mit der Times beschreibt sie den Alltag in Raqqa mit verstörender Abgebrühtheit. Sie sagt, es sei "ein normales Leben" gewesen, auch wenn es "hier und da mal Bomben und so Sachen" gegeben habe. Sie schildert, wie sie auf der Straße einen abgehackten Kopf in einem Mülleimer sah - und "das hat mich in keiner Weise beunruhigt". Schließlich sei das der Kopf eines Mannes gewesen, der gegen den IS gekämpft habe.

Allerdings wirkt sie zugleich desillusioniert. Sie wirft dem IS vor, andere Muslime zu töten und zu unterdrücken und korrupt zu sein. "Ich habe Angst", sagt sie. "Ich bin so durcheinander. Ich bin wirklich naiv."

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SZ vom 22.02.2019/swi
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