Großbritannien:In Aufruhr

Selbst wenn noch ein Brexit-Deal gelingt, könnte May erledigt sein.

Von Cathrin Kahlweit

Während das britische Brexit-Team in Brüssel - am Ende erfolglos - um die letzten Details einer möglichen Einigung rang, die auf dem EU-Gipfel Mitte der Woche abgesegnet werden sollte, befand sich die Regierung daheim in London am Wochenende im Belagerungszustand und womöglich kurz vor dem Fall. Gleich mehrere Gruppen wollen einen Brexit-Deal verhindern, um jeden Preis. Egal was heute, morgen oder in den nächsten Tagen noch auf den Tisch kommt - die Chance, dass eine Verabredung von Theresa May und EU-Chefunterhändler Michel Barnier hielte, wäre gering.

Es ist traurig: Mays Leute kämpfen bis zuletzt für ein paar weichere Formulierungen hier, ein paar einschränkende Fußnoten da, um das Ergebnis für die härtesten Kritiker irgendwie annehmbar zu machen, und die sagen "Nein". Die Brexit-Hardliner wollen keine Abmachung, die eine dauerhafte Zollunion möglich macht. Die nordirische DUP, die Mays Minderheitsregierung stützt, will keine Abmachung, die Nordirland einen Sonderstatus verschafft - selbst wenn das für Nordirland vorteilhaft wäre. Die Schotten wollen gar keinen Brexit. Labour will alle Vorteile von Binnenmarkt und Zollunion, was es aber nach einem Austritt gar nicht geben kann.

Eine europafeindliche Gruppe bei den Tories spielt mit dem Gedanken, May zu entmachten. Die nordirische Partei droht, der Premierministerin die Unterstützung zu entziehen. Alle gemeinsam erwägen, bei der entscheidenden Abstimmung gegen die Regierung zu stimmen; May würde ihren Deal nicht durchs Parlament bekommen.

May könnte in ein paar Tagen Geschichte sein. Nicht, weil sie keinen, sondern weil sie einen Deal geschafft hat. Die einen sagen dann, May habe sich von Brüssel über den Tisch ziehen lassen, die zweiten, sie setze die Einheit des Königreichs aufs Spiel, die dritten, alle Szenarien basierten auf falschen Zahlen, die vierten, der Austritt sei schlicht zu teuer.

London in Aufruhr.

In Brüssel übt man sich - trotz des vorläufigen Scheiterns am Sonntagabend - weiter in Zuversicht. Zwei Jahre lang hat man verhandelt, zwei Jahre lang wurden rote Linien gezogen und Kompromisse ausgeschlossen. Jetzt soll es, so noch immer das Ziel, bis Mittwoch eine Lösung geben, die eine harte Grenze in Nordirland verhindern und zumindest für Waren einen reibungslosen Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich weiterhin garantieren würde.

Wenn der Deal jetzt noch scheitert, werden in London Dolchstoßlegenden kursieren

Wenn der Deal dennoch scheitert und die Briten ohne Vertrag aus der Union ausscheiden, wird es im Königreich einige geben, die Dolchstoßlegenden verbreiten und sagen, Brüssel habe bis zum Schluss nicht genug Zugeständnisse gemacht. Tatsache aber ist: Die Gründe für ein Scheitern wären in der britischen Gesellschaft und ihren Vertretern zu suchen. Diese wissen, dass ein historischer Schritt nie alle Interessengruppen zufriedenstellen kann und haben trotzdem nie eine Debatte darüber geführt, wie ein solcher Ausgleich konkret aussehen könnte.

Das Kalkül sieht eher so aus: Die Schotten setzen auf ein neues Unabhängigkeitsreferendum, die nordirischen Nationalisten auf eine Wiedervereinigung mit der Republik Irland. Tory-Hardliner träumen von einer Wiederauferstehung des Königreichs als Großmacht. Bei alledem wäre der Brexit selbst nur eine Fußnote.

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